Die Tochter der Konkubine
trockenem Mund nahm Li ihren ganzen Mut zusammen und fragte mit gesenkter Stimme: »Weilt sie nun in der Pagode des Mitleids?«
Ah-Jeh rümpfte die Nase. »Dieses Recht hat sie verwirkt, als sie sich den Gesetzen der mui-mui widersetzt hat.«
Angesichts der Selbstgefälligkeit der Vorsteherin geriet Li in Rage. »Bringen Sie sie her, krank oder gesund.«
Ah-Jeh, die die Arme entschuldigend ausbreitete, war mit ihrer Antwort schnell bei der Hand. »Sie untersteht nicht länger meiner Verantwortung oder der von Zehn Weiden.« Wieder das Achselzucken kaum verhüllter Gleichgültigkeit. »Fragen Sie die mung-cha-cha , vielleicht wissen die ja, was aus Kleiner Kiesel geworden ist.«
»Schicken Sie sofort nach ihnen«, schnauzte Li. »Während wir auf sie warten, können wir uns über andere Geschäfte unterhalten.« Sie holte einen zweiten Umschlag hervor, der mit dem Siegel des Doppeldrachens verschlossen und in Ben Devereauxs kühner, fließender Handschrift an Ming-Chou adressiert war. »Das soll Ming-Chou persönlich ausgehändigt werden. Ich wünsche nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, weshalb ich diese drängende Aufgabe Ihnen übertrage. Der Brief enthält gewisse Bedingungen, falls Double Dragon weiter Geschäfte mit Zehn Weiden machen soll.« Ah-Jeh rührte den Umschlag nicht an und hob fragend die Augen. Li hob eine Hand, und Wang reichte ihr eine hölzerne Spindel.
»Die Frachträume der Golden Sky und anderer Double-Dragon-Schiffe befördern allmonatlich Tausende hiervon, und zwar doppelt so schnell wie jede andere Dschunke an der Küste. Man hat sich mit Ming-Chous Preis einverstanden erklärt und umgehend bezahlt. Doch zeigt sich, dass einige Spindeln bei der Anlieferung fehlerhaft waren … der goldene Faden ist zerrissen oder zusammengeknotet, die Güte minderwertig, das Gewicht schwankend.« Li legte die Spindel neben den Brief. »Fortan ist diese Spindel die Norm, die von den Fabriken in Shantung und allen großen Seidenstädten genehmigt ist. Was Größe, Form und Gewicht angeht, entspricht sie genau den Anforderungen. Von diesem Tag an wird jede Fracht untersucht, und alle anderen Spindeln werden abgelehnt. Für jede verweigerte Abnahme wird Double Dragon eine Gebühr erheben.«
Ah-Jehs Unschuldsbeteuerungen wurde durch das Erscheinen
der mung-cha-cha ein Ende gemacht, die, atemlos und schmutzig, aus den Hainen hergerannt waren. Zögernd standen sie an der Türschwelle, fürchteten sich einzutreten, bis Li mit ausgebreiteten Armen auf sie zukam, ihre Namen rief und den eigenen wiederholte. Selbst da wichen sie noch zurück, hielten ihre Hüte vor sich umklammert und konnten nicht glauben, dass die bedeutende Dame vor ihnen wirklich der kleine Holzapfel war.
Nur eines minderte Lis Freude bei diesem Wiedersehen. »Wo ist Kleiner Kiesel?« Vor der Antwort fürchtete sie sich ein wenig. Ihre Befürchtungen wurden schnell zerstreut. »Sie ist in der Obhut von Riese Yun«, beruhigte Knoblauch sie. »Wir bringen dich zu ihr.«
»Sie wird sich freuen, dich zu sehen«, sagte Beifuß.
»Wir haben dich vermisst«, pflichtete Erdnuss ihr bei.
»Wir dachten, der Barbar hätte dich mitgenommen, um dich als Sklavin zu verkaufen«, setzte Schildkröte hinzu. »Kiesel hat sich viele Geschichten ausgedacht. Stimmt es, dass du die einzige Gelehrte im Harem eines arabischen Prinzen bist, der dich mit Diamanten bezahlt?«
»Fast«, lachte Li, »aber er ist kein Araber, und er bezahlt mich mit Saphiren … und manchmal Diamanten.« Die mung-cha-cha sahen einander mit großen Augen an.
Li wandte sich an Ah-Jeh. »Wenn Sie mit unserer Abmachung einverstanden sind, lassen Sie diese jungen Damen bitte im Badehaus der Spinnerei baden, danach sollen sich Masseurinnen um sie kümmern. Bitte sorgen Sie dafür, dass unser Geschäft in zwei Stunden unter Dach und Fach ist.« Sie deutete auf den Haufen Päckchen. »Dann lassen Sie sie diese Kleider anziehen, die jeweils mit ihrem Namen gekennzeichnet sind. Unterdessen würde ich mir gern die Weberei genauer ansehen.«
Als Ah-Jeh die Tür für Li öffnete, blickten die Schwestern von sau-hai von ihren Webstühlen auf. An gelegentliche Besucher gewöhnt, behielten sie den Rhythmus ihrer Arbeit bei.
Einige Augenblicke lang ging Li zwischen ihnen entlang, atmete die durch wertlose Ventilatoren bewegte abgestandene Luft,
lauschte dem Geplapper und Gerassel veralteter Webstühle, nahm die freudlose Konzentration und das fehlende Gelächter in sich auf. Von den Stufen, die in das
Weitere Kostenlose Bücher