Die Tochter der Konkubine
Blitzschnell griff er nach Sings Handgelenk. Mit der anderen Hand hätte er sie geohrfeigt, hätte Sing sie nicht abgefangen und sich seinem Griff mühelos entwunden.
Die Aufzugtüren glitten auf. Drei-Daumen-Poon erschien, flankiert von Leibwächtern. Beim Anblick Ah-Keungs blieben sie stehen und ließen Drei-Daumen-Poon allein weitergehen. Sing konnte seine Angst riechen.
»Bitte, Ah-Gor«. Poon benutzte den respektvollen Titel »Älterer Bruder«. »Ich will keine Schwierigkeiten. Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist, das Ihnen missfällt?«
Ah-Keung nahm eine Serviette und trocknete sich das Gesicht ab. »Sie könnten Ihren Huren mal Respekt beibringen«, zischte er. »Aber um die hier kümmere ich mich persönlich!«
Drei-Daumen-Poons Stimme war schrill vor Besorgnis. »Bitte! Ich bitte Sie. Sie ist jung und unerfahren. Das hat sie noch nicht gelernt. Für ihre Respektlosigkeit wird sie bestraft werden!«
Das Orchester hatte zu spielen aufgehört, die Stimme des Sängers verlor sich. Ah-Keungs Wut schien in der Stille zu verrauchen. »Nein. Bestrafen Sie sie nicht. Wir sind alte Freunde, Nummer Zwölf und ich. Wir haben viel zu bereden. Vielleicht war die Überraschung zu viel für sie.«
Er zwinkerte Drei-Daumen-Poon zu. »Ich bin morgen zur selben Zeit wieder da. Sehen Sie zu, dass sie mich in Ihren schönsten Räumen als Ihr bedeutendster Gast empfängt … und dass sie mir Respekt erweist, sonst werde ich Sie für ihr schlechtes Benehmen verantwortlich machen.«
Eine neue Stimme unterbrach ihn. »Sie sind es, mein Freund, dem man Benimm beibringen muss!« Toby Hyde-Wilkins stand zwei Schritte weit von ihnen entfernt. Er war unbemerkt die Treppe heraufgekommen. Sings Herz zog sich vor Angst um ihn zusammen.
Ohne ihn zu beachten, richtete Ah-Keung sein Wort direkt an Drei-Daumen-Poon. »Was hat dieser gwai-lo in den Neun Drachen zu suchen?«
Toby klappte seine Brieftasche auf und hielt sie hoch. »Regierungsbehörde«, schnauzte er. »Diese junge Dame ist britische Staatsangehörige und Gegenstand einer Untersuchung.«
Der Energische stand in der fast sorglosen Art desjenigen da, der Gewalt willkommen heißt. »Sagen Sie diesem Zinnsoldaten, er soll verschwinden, so lange er es noch kann!«
Bevor Toby reagieren konnte, stellte Sing sich vor ihn. »Ah-Gor hat recht. Sie gehören hier nicht her. Sie gehören in die gwai-lo -Bars, wo es billiges Bier gibt und billige Mädchen. Tun Sie, was er sagt. Gehen Sie, so lange Sie es noch können. Hier machen Sie mir nur Probleme.« Sing schlug Toby fest ins Gesicht.
Er stand reglos da, während sie ihn fest ansah und ihm mit Blicken zu vermitteln versuchte, in welcher Gefahr er schwebte. Die Stille an den Tischen und auf der Tanzfläche wurde von einem Murmeln hier, einem Kichern dort durchbrochen und schwoll allmählich zu Gelächter, Pfiffen und Beifallsrufen an. Der gwai-lo sollte gehen, er war hier nicht willkommen. Jemand begann zu klatschen, was sich bald zu einer wachsenden Applausflut auswuchs.
Nach atemlosen Sekunden drehte Toby sich um und ging wortlos die Treppe hinunter.
Als er verschwunden war, richtete Ah-Keung sich auf, fuhr sich durchs Haar und glättete sein Revers mit einem beifälligen Lächeln. Der Applaus verebbte. »Ich bin zutiefst beeindruckt, Kleiner Stern. Vielleicht fließt in deinen jarp-jung -Adern doch mehr chinesisches Blut, als ich dachte.« Seine Stimmung schlug um, als er sich zu Drei-Daumen-Poon wandte, der ein ängstliches Lächeln aufgesetzt hatte und stark schwitzte.
»Sie sollten es besser wissen, als gwai-los zu bedienen, Sie alter Geldsack. Möchten Sie die Polizei im Haus?«, fragte er eisig. »Ich erwarte, dass Sie für diese Peinlichkeit bezahlen.« Er blickte auf seine goldene Uhr. »Stellen Sie sicher, dass mich Nummer Zwölf morgen um diese Zeit in ihrem Zimmer erwartet.«
Er zog sein Jackett glatt und blickte sich um. Inzwischen hatten Musik und Tanz wieder eingesetzt. »Erklären Sie ihr, wer ich bin und was das hier in Wan-Chai bedeutet. Nochmal sollte sie mich nicht missverstehen, sonst mache ich Sie dafür verantwortlich!«
Nachdem Ah-Keung gegangen war, warnte Drei-Daumen-Poon
Nummer Zwölf, dass er ihr in keiner Weise helfen könne, dass ihr einziger Schutz darin liege, dass sie dem Energischen bei seiner Rückkehr Respekt erweise und ihm den besten Service biete - andernfalls müsse sie auf der Stelle verschwinden … Er war den Tränen nahe. »Ich werde dich gut bezahlen dafür, dass du mein
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