Die Tochter der Konkubine
waren, Yik-Munn herzurichten. Sie küsste Li-Xia und sagte mit ihrem heimlichen Lächeln: »Ich habe die restlichen Sachen deiner Mutter aus dem Reisschuppen eingesammelt; ich werde sie sicher für dich aufbewahren, bis wir einander wiedersehen. Denk daran, meine Schöne, deine Füße sind deine Freiheit. So lange du sie hast, ist nichts unmöglich.«
4. KAPITEL
Zehn Weiden
In den taubenblauen Maulbeerbaumhainen gab es so viele Bäume wie Schuppen auf einer Schlange, zumindest wurde das unter den mui-mui behauptet, den jungen Mädchen, die die Motten töteten und die kleinen Seidenperlen aufsammelten. Die sanft ansteigenden Hügel des Seidengutes Zehn Weiden waren mit Bäumen bedeckt, so weit das Auge vom Flussufer aus reichte.
Anders als bei kleineren Spinnereien, die auf Kokons anderer Lieferanten angewiesen waren, standen Ming-Chou, einem vermögenden und mächtigen Mann, eigene Haine zur Verfügung. Vom Urgroßvater angepflanzt, hatten sie ihn zum reichsten Seidenhändler im Perlflussdelta gemacht, als der er nun in einer Welt herrschaftlicher Privilegien lebte, die selbst die der Taipans von Kanton oder Hongkong übertrafen.
Hier, hinter den hohen, geschwungenen Mauern seiner ruhigen Gärten, beschäftigte er hundert Frauen. Fünfzig davon waren sau-hai , »Frauen ohne Männer«. Sie gehörten einem alten Schwesternorden an, der aus Überlebensgründen entstanden war. Als hungrige Kinder, Opfer von Überschwemmungen und Hungersnöten, für eine Handvoll Reis von Feldarbeitern traktiert und belästigt, hatte man sie aus den tiefsten Tiefen der Verzweiflung herausgeholt. Die Ältesten von ihnen hatten den Gedanken an Ehestand und Mutterschaft aufgegeben und sich zusammengetan. Jede Jungfrau wurde herzlich in ihrem Kreis aufgenommen, die bereit war, den traditionellen Kamm und Spiegel entgegenzunehmen, während sie den heiligen Eid der sau-hai sprach.
Die Schwesternschaft schätzte und beschützte ihresgleichen so
sicher wie Nonnen in einem Kloster. In China war es seit jeher das Los armer Frauen gewesen, dass sie, wenn ihre Familien sie nicht zu ernähren vermochten, sie aber bei der Geburt nicht hatten getötet werden können, an den Erstbesten verkauft wurden, der sie nehmen wollte. Seit Jahrhunderten wandten sich solche verlorenen Frauen an die Schwesternschaft und trugen zu ihrer Stärke bei. Sie bot Nahrung und Unterkunft, vor allem aber versprach sie ein gewisses Maß an Würde und Sicherheit vor den Ungerechtigkeiten der Männer.
Sau-hai waren als Hausangestellte sehr gefragt, und jeder Haushalt, der seinen Namen wert war, war bereit, für eine Amah, die den schwarzen tzow trug und das weiße Taschentuch der Reinheit zeigte und deren Haar zu einem festen Knoten gewunden und von einem Holzkamm gehalten wurde, ein wenig mehr zu zahlen. Auf diese Weise hatte sich ein geheimes Kommunikationsnetzwerk gebildet, das sich von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt, ja, sogar von Provinz zu Provinz erstrecken konnte. Mitglieder der Schwesternschaft wurden zu einer ständigen Informationsquelle über die Schicksale verfeindeter Sippen und Haushalte.
Ming-Chou war überaus stolz auf seine Entscheidung, die Schwestern von sau-hai als Weberinnen einzusetzen. Er zahlte ihnen gut, sorgte für gute Arbeitsbedingungen und behandelte sie mit Respekt. Die meisten konnten weder lesen noch schreiben und stellten daher auch nichts in Frage. An ihrer Spitze standen jedoch kluge Köpfe, und manche von ihnen, deren Familien von einer Katastrophe heimgesucht worden waren oder die das männliche Geschlecht verachteten oder fürchteten und weibliche Gesellschaft vorzogen, stammten aus besten Verhältnissen. Manche, wie Ältere Schwester Ah-Jeh, die Vorsteherin von Zehn Weiden, verfügten über große Fertigkeiten im Umgang mit dem Abakus, hatten einen Sinn fürs Geschäft und besaßen ein profundes Wissen in der Heilkunst. Das Geld, das sie an jedem Monatsende erhielten, war nur halb so viel wie das, was Männer und Jungen bekamen, doch wurde es weise und umsichtig gespart.
Ming-Chou wusste sehr wohl, dass die sau-hai sich ihre eigenen Gesetze schufen und sie mittels Regeln und Ritualen umsetzten, die von der Gesellschaft im Laufe der Jahrhunderte festgelegt worden waren, und ließ sie gewähren. Ganz und gar von Älteren Schwestern kontrolliert, tranken sie keinen Reiswein und trieben keine Unzucht. Disziplin ging ihnen über alles, und ihre Bestrafungen erfolgten rasch und brutal.
Die friedliche und
Weitere Kostenlose Bücher