Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
mit einer raschen Bewegung zuvor.
»Sag es ihr«, sagte sie.
Erik schwieg, und Katharina blickte einen Moment lang verstört von einem zum anderen und fragte dann: »Was?«
»Sag es ihr!«, verlangte Arla noch einmal. »Sie weiß ohnehin schon beinahe alles. Sie hat das Recht, auch den Rest der Geschichte zu erfahren.«
»Ja, wahrscheinlich«, murmelte Erik. Er wandte sich an Katharina, und mit einem Mal sah er um zehn Jahre älter aus alsnoch vor einem Moment; vielleicht zum allerersten Mal so alt, wie er wirklich war. »Es geht um dich, Katharina. Wulfgar will nicht einfach nur seinen Enkel oder einen Erben … Wenn er das gewollt hätte, so hätte er sich Ansgar längst holen können, denn er hat mehr Krieger als wir und ist viel rücksichtsloser. Ansgar ist sein Enkel, aber er hat sich nie für ihn interessiert. Als sein Sohn damals meine Tochter geheiratet hat und zu uns gekommen ist, da hat er seinen eigenen Sohn verstoßen. Er wollte immer nur dich, Katharina. Mein Bruder und alle seine Krieger sind aus demselben Grund hierhergekommen wie ich. Um nach dir zu suchen.«
»Aber warum?«, murmelte Katharina. »Er … er kennt mich doch gar nicht!«
»Es gibt eine Prophezeiung bei unserem Volk, mein Kind«, sagte Arla. »Eine uralte Prophezeiung, die seit vielen Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wulfgar ist ein sehr abergläubischer Mann, auf seine Art.«
»Eine Prophezeiung über mich?«, fragte Katharina zweifelnd.
»Über dein Mal«, sagte Erik. »Es heißt, dass eine Frau, die das Schlangenmal trägt, unser Volk eines Tages in ein fernes Land führen wird, wo wir ein Leben in Frieden und Wohlstand führen werden.« Er berührte flüchtig ihre Schulter, dort, wo sich unter dem Kleid das rote Muttermal befand, das sie selbst noch nie gesehen hatte. »Deine Großmutter hatte dieses Mal, deine Mutter hatte es, und nun trägst du es. Wulfgar weiß das, und er würde alles tun, um dich in seine Gewalt zu bringen und damit Macht über die Prophezeiung zu erlangen.«
»Und er … glaubt an diese Prophezeiung?«, fragte Katharina stockend.
»Wer weiß?«, antwortete Erik. »Auf jeden Fall würde es ihm in unserer Heimat zu großem Ansehen und Einfluss verhelfen. Und wer will schon sagen, ob die Prophezeiung am Ende nicht doch wahr ist?«
»Und ich soll euer ganzes Volk in ein fremdes Land führen?«, fragte Katharina. Sie versuchte zu lachen, aber es misslang kläglich. Das war … einfach absurd! Noch vor weniger als einem Monat hatte sie nicht einmal gewusst, dass es jenseits der Wälder, die Ellsbusch und die gleichnamige Burg umgaben, überhaupt eine Welt gab!
»Du oder vielleicht deine Tochter, oder die Tochter deiner Tochter, oder auch deren Tochter«, antwortete Erik. »Die Götter planen in anderen Maßstäben als wir Menschen. Aber das soll nicht deine Sorge sein. Ich werde nicht zulassen, dass du Wulfgar in die Hände fällst, hab keine Angst.«
»Ich habe keine Angst!«, antwortete Katharina – was glatt gelogen war. Sie hatte Angst, ganz fürchterliche Angst sogar. Und trotzdem: »Wir müssen Ansgar befreien! Ich gehe zu Wulfgar. Er kann mich haben, wenn er Ansgar dafür gehen lässt!«
Erik sah sie lange und mit einem traurigen Lächeln an. Aber er sagte nichts mehr, sondern schüttelte nur noch einmal den Kopf und ging dann ohne ein weiteres Wort hinaus.
*
Trotz Arlas Zaubertrank dauerte es noch einige Zeit, bis Katharina sich kräftig genug fühlte, um aufzustehen und das Haus zu verlassen. Es war später Nachmittag, und die Sonne näherte sich bereits wieder dem Horizont. Es war kühl, und sie begann in ihrem dünnen Wildlederkleid fast augenblicklich zu frösteln, als sie ins Freie trat. Kaum hatte sie die ersten paar Schritte getan, da fiel ihr die sonderbare Stimmung auf, die von ganz Bjarnisund Besitz ergriffen hatte. Sie sah nur wenige Menschen, und diejenigen, die sie sah, bewegten sich hastig, aber sehr leise, fast schon verstohlen. Zum ersten Mal, seit sie hierhergekommen war, sah sie Männer auf den schmalen Wehrgängen hinter der Palisade, und auch auf dem Steg unten am Fluss standen gleich zwei Männer und blickten konzentriert auf die schmutzig braunen Fluten hinaus. Katharina musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, dass auch oben auf dem Thinghügel jetzt ein Posten stand, um die Umgebung zu beobachten. Obwohl weit und breit außerhalb der Stadt kein Mensch zu sehen war, hatte sie doch das Gefühl, dass sich Bjarnisund in einem stillen
Weitere Kostenlose Bücher