Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
Gesicht zu lesen, obwohl sie nun nahe genug war. Die grauhaarige Frau lächelte, und wenn Katharina jemals das Lächeln einer Mutter gesehen hatte, war es das, was sie jetzt auf ihren Zügen erblickte. Aber Ediths Augen waren auch dunkel vor Schmerz, und als sie weitersprach, hörte Katharina in ihrer Stimme einen tiefen Kummer, den keine Macht und alle Zeit der Welt nicht lindern konnten.
»Und trotzdem hat deine Freundin Recht, mein Kind. Das alles hier ist meine Schuld. Es tut mir so unendlich leid, glaub mir. Ich gäbe mein Leben dafür, es rückgängig machen zu können, aber das kann ich nicht.«
»Was?«, fragte Katharina mit klopfendem Herzen.
Statt zu antworten, kam Edith noch einmal einen Schritt näher und maß die Gauklerin neben ihr mit einem fast flehenden Blick. »Du hast es ihr nicht gesagt?«
»Was gesagt?«, verlangte Katharina zu wissen. Ihr Herz jagte plötzlich, und ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren schrill.
Vera schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie, ohne Katharinas Frage zu beachten. »Ich war der Meinung, dass das deine Aufgabe ist.«
»Ja, und damit hast du wahrscheinlich Recht«, sagte Edith traurig. Sie blickte nun wieder auf Katharina herab, und der Anteil von Kummer in ihren von unzähligen winzigen Falten eingerahmten Augen wurde noch größer. Sie schwieg eine schiere Ewigkeit lang, nahm dann Katharina gegenüber auf dem feuchten Deck Platz und bemühte sich vergebens, ihrem Blick standzuhalten. Keiner konnte ihr ansehen, wie verzweifelt sie um Worte rang, ohne sie zu finden.
Schließlich war es nicht Edith, sondern Vera, die das immer unerträglicher werdende Schweigen brach, indem sie sich umständlich und mit einer Anzahl kleiner, ächzender Laute in die Höhe stemmte. »Ich lasse euch beide einen Moment allein«, sagte sie.
»Das ist nicht –«, begann Katharina fast erschrocken und brach dann mitten im Satz ab, als sie den kleinen, dankbaren Blick registrierte, den Edith der Gauklerin zuwarf. Vera wandte sich um und schlurfte mit hängenden Schultern und kleinen, mühsamen Schritten zum Bug hin, und Edith ließ noch einmal Zeit verstreichen, bis sie so allein waren, wie es auf dem kleinenSchiff und in der fast vollkommenen Stille der Nacht überhaupt möglich war. Selbst wenn sie flüsterten, würde Vera dennoch jedes Wort verstehen, aber Katharina begriff immerhin, warum sie sich zumindest bemühte, den Anschein zu wahren, und empfand ein kurzes, aber sehr tiefes Gefühl von Dankbarkeit.
Edith hob die Hand unter dem Mantel hervor, griff nach ihren Fingern und hielt sie fest, ganz so, wie es eine gütige Großmutter tun mochte, wenn sie ein Kind trösten wollte, dass sich verletzt oder einen großen Verlust erlitten hatte. Katharina hatte eine solche Situation niemals erlebt, aber wenn sie versucht hätte, sie sich vorzustellen, dann wäre es ungefähr so gewesen. Statt die Hand zurückzuziehen, wie es ihr allererster Impuls war, hatte sie doch zeit ihres Lebens jegliche Berührung vermieden, wo es nur ging, hob sie ihrerseits die andere Hand und ergriff die der Dienerin.
»Ich bin nicht deine Mutter, Kara«, begann Edith. Aber wenn das stimmte, warum benutzte sie dann ihren wirklichen Namen, nicht den, den mir die Menschen in diesem Land gegeben haben? »Aber ich habe sie gekannt, das ist wahr. Und ich habe auch dich gekannt, als du noch ein kleines Kind warst.«
Katharina spürte, wie sich ihre Augen weiteten. »Du?«, hauchte sie. »Aber wie –?«
»Deine Mutter und ich waren Freundinnen«, fuhr Edith fort. »Als deine Mutter noch in der Trelleborg in eurer Heimat gelebt hat, da war ich ihre Zofe, aber sie war eine gute Herrin, und sie war stets der Meinung, dass kein Mensch das Recht haben sollte, einen anderen zu besitzen oder ihm seinen Willen aufzuzwingen. So wurden wir Freundinnen, auch wenn sie stets meine Herrin geblieben ist.«
»Dann … dann hast du sie gekannt?«, murmelte Katharina, vollkommen widersinnig und im Grunde nur als Ausdruck ihrer Überraschung. »Und Erik und Arla und all die anderen auch und –«
Edith unterbrach sie mit einem Kopfschütteln und der Andeutung eines sanften Lächelns. Der Ausdruck von Kummer blieb in ihren Augen, nun aber gesellte sich noch etwas anderes hinzu, das ihren Schmerz vielleicht nicht linderte, es ihr aber leichter zu machen schien, ihn zu ertragen.
»Selbstverständlich habe ich sie alle gekannt«, antwortete sie. »Und auch deinen anderen Großvater, Wulfgar, Eriks Bruder.«
»Und
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