Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
»Mir ist es recht! Und ich hätte erwartet, dass es dir das auch ist,nach zehn Jahren, die du an Pardevilles Hof verbracht hast. Oder sagst du das alles nur, um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen, altes Weib?«
Edith fuhr unter diesen Worten wie unter einem Schlag zusammen und presste die Lippen aufeinander, um sich die Antwort zu verkneifen, die der Gauklerin für diese Unverschämtheit zustand. Vera sprang mit einem Satz auf die Füße, funkelte Katharina und sie noch einmal zornig an und ging dann mit trotzig in den Nacken geworfenem Kopf zu ihrem Bruder.
»Das … tut mir leid«, murmelte Katharina betroffen. »Das war gemein von ihr. Das hätte sie nicht sagen dürfen.«
Edith antwortete nicht gleich. Ein sonderbarer Ausdruck erschien auf ihren Zügen; vielleicht Trauer, vielleicht aber auch etwas anderes, das Katharina nicht genau benennen konnte. »Vielleicht hat sie ja Recht«, sagte sie schließlich.
»Unsinn!«, protestierte Katharina.
»Was sie über die Mächtigen sagt, ist nicht ganz falsch«, beharrte Edith. »Und auch das andere … wir können nichts tun, um den Baron zu warnen. Pardeville würde uns töten, bevor wir auch nur in seine Nähe kämen.«
»Und Ansgar?«, fragte Katharina. »Wulfgar hat ihn in seiner Gewalt! Was, wenn er bei dem Angriff zu Schaden kommt oder getötet wird? Er ist mein Bruder!«
»Für den du rein gar nichts tun kannst, mein Kind«, sagte Edith traurig. Sie hob ganz leicht die Stimme, bevor Katharina antworten konnte. »Selbst wenn du es wolltest nicht. Wulfgars Lager befindet sich fast eine Tagesreise flussabwärts. Du kämst viel zu spät, ganz davon abgesehen, dass du niemals ungesehen hineinkämst, denn es ist gut bewacht.«
Katharina fragte sich, woher Edith das eigentlich so genau wissen wollte, war sie doch nach eigener Aussage niemals dort gewesen, aber sie bekam keine Gelegenheit, diese Frage in Worte zu kleiden, denn in diesem Moment kehrte Vera zurückund verlangte mit einem unechten Räuspern nach ihrer Aufmerksamkeit. Katharina sah aus herausfordernd funkelnden Augen zu ihr hoch, auf einen Schwall neuerlicher Vorwürfe und Dummheiten gefasst und fest entschlossen, diesmal angemessen darauf zu antworten.
Doch der Ausdruck auf Veras Gesicht hatte sich verändert. Sie sah jetzt beinahe verlegen aus, und erst nach einem erneuten, unbehaglichen Räuspern sprach sie. »lch … möchte mich entschuldigen«, sagte sie. »Es tut mir leid. Ich war ungerecht.«
»Wie die Welt nun einmal ist«, antwortete Edith mit mildem Spott.
Vera nahm die kleine Rüge hin, ohne darauf zu reagieren. »Wir müssen trotzdem entscheiden, was wir tun«, fuhr sie fort, jetzt direkt an Katharina gewandt. »Arden und ich brechen jetzt auf, um die anderen zu holen. Wir bleiben hier, bis das Schlimmste vorüber ist. Vielleicht einen Tag, oder zwei, bis wir entschieden haben, wohin wir ziehen. Du kannst bei uns bleiben, Katharina, wenn du das möchtest. Und du«, fügte sie an Edith gewandt hinzu, »natürlich auch.«
»Ich?« Die alte Frau schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Was sollte ich beim Fahrenden Volk? Ich würde euch nur zur Last fallen.«
Vera sah sie ernst an und antwortete nicht darauf, aber Katharina sah ihr an, dass sie sich wohl dasselbe fragte wie sie selbst: nämlich wohin sie denn sonst gehen wollte. Sie war eine alte Frau, die nichts besaß und niemanden kannte, und es gab nichts mehr, wohin sie zurückgehen konnte. Sie sparte es sich jedoch, das laut auszusprechen, und wandte sich stattdessen wieder an Katharina. »Du musst dich nicht sofort entscheiden. Wir werden bestimmt zwei Stunden brauchen, um die anderen zu finden, und noch länger, bis wir zurück sind. So lange habt ihr Zeit, um in aller Ruhe und allein zu beraten. Denk darüber nach. Das Leben bei uns ist nicht das Schlechteste. Wir sehendie ganze Welt, und es gibt in jeder Stadt anderes zu entdecken und neue Menschen kennenzulernen.«
Katharina musste daran denken, dass es noch nicht lange her war, dass sie ihr von einer gänzlich anderen Seite ihres freien Lebens erzählt hatte, aber sie schwieg, und Vera fuhr fort: »Vielleicht ziehen wir irgendwann auch nach Norden. Es kann ein Jahr dauern oder länger, aber wir wollten schon immer einmal die großen Städte an der Küste besuchen. Von dort aus wäre es gar nicht mehr so weit bis in deine Heimat.« Sie hob die Schultern. »Beratet euch in Ruhe, bis wir zurück sind. Und dann«, fügte sie noch mit einem unechten Lächeln
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