Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
vielleicht nicht nur in dem übergroßen Kaminfeuer. Einen kurzen Moment lang blickte er noch auf seinen älteren Bruder hinab, den er tatsächlich um eine gute Haupteslänge überragte, dann wandte er sich mit einem Ruck um und ging, gefolgt vom größten Teil seiner Krieger. Einzig Erik und die beiden Männer, die sie schon hier heraufgebracht hatten, blieben zurück.
»Du musst mir zuhören, Erik!«, begann Jorun, als sie allein waren. »Ihr alle seid in großer Gefahr! Wir müssen –«
Erik brachte sie mit einer Geste zum Verstummen, die kaum weniger zornig wirkte als die seines Bruders gerade. Im krassenGegensatz dazu klang seine Stimme allerdings eher müde. »Ich weiß, was geschieht«, sagte er. »Wenn du nur hierhergekommen bist, um uns vor Guthenfels zu warnen, dann hast du dein Leben umsonst weggeworfen, Weib. Und das meiner Enkeltochter umsonst in Gefahr gebracht.«
»Es war nicht ihre Schuld«, mischte sich Katharina ein. »Sie wollte mich nicht mitnehmen.«
Erik ignorierte sie schlichtweg. Er starrte Jorun an, und es war Katharina nicht möglich, zu sagen, was sie in seinen Augen las. Aber es war nichts Gutes.
»Mehr als zehn Jahre, Jorun«, sagte er schließlich. »Du warst die ganze Zeit hier, nicht einmal zwei Tagesreisen von Bjarnisund entfernt! Wie konntest du mir das antun?« Er deutete auf Katharina. »Wie konntest du ihr das antun?«
»Sie hat es nicht gewusst!«, mischte sich Katharina ein, bevor Jorun antworten konnte.
Ihr Großvater ignorierte sie weiter.
»Warum hast du nichts gesagt, Weib?«, fuhr er fort. »In all den Jahren, nicht ein einziges Wort?«
»Weil deine Tochter es nicht wollte«, antwortete Jorun, leise, aber mit fester Stimmte, und ohne unter Eriks Blick zu wanken. »Sie ist in meinen Armen gestorben, und mit ihrem letzten Atemzug hat sie mir das Versprechen abgenommen, weder zu dir noch zu deinem Bruder zu gehen. Hätte ich mein Wort brechen sollen?«
Erik reagierte nur mit einem traurigen Blick darauf, seufzte plötzlich tief und straffte dann sichtbar die Schultern. »Dann verlange ich jetzt dein Wort, dass du tun wirst, was ich dir sage.« Er deutete auf den Mann, der hinter ihr stand. »Ich kann dich binden lassen, aber das möchte ich nicht. Versprichst du mir, vernünftig zu sein und keinen Fluchtversuch zu unternehmen, bis all das hier vorüber ist?«
Jorun zögerte einen Moment, nickte aber dann, und Eriknahm diese Entscheidung mit sichtbarer Erleichterung zur Kenntnis. »Dann sollten wir gehen«, sagte er.
»Und Ansgar?«, fragte Katharina. »Wo ist Ansgar?«
»Er wartet auf uns, unten auf der Fenrir «, antwortete Erik. Er wirkte ein bisschen verärgert. »Hast du wirklich geglaubt, ich lasse ihn im Stich und laufe feige davon, du dummes Kind? Mein eigen Fleisch und Blut?«
Die Worte trafen Katharina hart, aber da war auch ein ganz leiser, nagender Zweifel tief in ihr, ein Gefühl, für das sie sich fast schämte, das aber einfach nicht weichen wollte.
»Vielleicht war sie nicht sicher, dass du sie nicht gegen Ansgar eintauschen würdest«, sagte Jorun an ihrer Stelle. Erik starrte sie einen halben Atemzug lang beinahe hasserfüllt an, und auch Katharina erfüllte dieser ungeheuerliche Vorwurf im ersten Moment fast mit Entsetzen – aber eben nur fast. Da war immer noch diese beharrlich flüsternde Stimme in ihr, die sie fragte, ob Jorun nicht vielleicht Recht hatte. Sie war Eriks Enkelin, von seinem Fleisch und Blut, und sie hatte erlebt, wozu er fähig war, um sie zu beschützen … aber auch Ansgar war sein Enkel, und er hatte all die Jahre wie ein Sohn an seiner Seite gelebt, in denen Erik von ihrer Existenz nicht einmal etwas wusste! Hatte sie wirklich das Recht, ihm seine Wahl vorzuwerfen, wenn er schon zu einer so grausamen Entscheidung gezwungen war?
Ein dumpfer Knall wehte durch die offenen Fenster herein, gefolgt von einem alarmierten Schrei, der aber sofort abbrach, und Erik hob mit einem Ruck den Kopf und sah plötzlich bestürzt aus. »Es wird Zeit«, sagte er. »Rasch.«
Gefolgt von den beiden Kriegern, die Joruns Wort nicht ganz so zu vertrauen schienen wie Erik, verließen sie den großen Saal. Draußen erwarteten sie zwei weitere Männer, die Erik Schild und Helm übergaben und ihnen mit gezogenen Schwertern vorauseilten, als sie ihren Weg fortsetzten. Und die Waffenund der grimmige Ausdruck auf ihren Gesichtern waren nicht alles, was Katharina beunruhigte.
Der Lärm und die Schreie hatten nicht aufgehört, sondern nahmen im
Weitere Kostenlose Bücher