Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
verlor endgültig das Gleichgewicht, und Jorun machte alles noch schlimmer, indem sie ihren Arm nicht etwa losließ, sondern sie im Gegenteil festzuhalten versuchte – mit dem Ergebnis, dass sie schwer auf das harte Deck stürzte und einen Moment lang buchstäblich Sterne sah.
Als sie wieder atmen konnte und die bunten Lichter vor ihren Augen erloschen, blickte sie in ein schmales, von zwei dicken blonden Zöpfen eingerahmtes Gesicht.
»Hallo Schwesterherz!«, feixte Ansgar. »Ich wusste ja gar nicht, dass du mich so sehr vermisst hast.«
Katharina war sich nicht sicher, ob sie wirklich verstand, was er damit meinte. »Ansgar?«, murmelte sie benommen.
Ansgar griente noch breiter, ergriff sie an den Schultern und zog sie unsanft auf die Füße. »Immerhin erinnerst du dich noch an meinen Namen«, sagte er. »Ganz so schlimm scheint der Sturz ja nicht gewesen zu sein.«
»Nein«, antwortete Katharina. »Ich erinnere mich sogar sehr gut. Und an alles. Du hast mich in einen Backofen geschubst.«
»Immerhin habe ich ihn nicht angemacht«, gab Ansgar nicht nur ungerührt zurück, sondern griente dabei noch breiter. »Und ja, ich freue mich auch, dich wiederzusehen. Aber lass uns die Wiedersehensfeier auf später verschieben, einverstanden? Jetzt haben wir etwas Wichtigeres zu tun.«
»Und was?«
»Am Leben zu bleiben?« Ansgar erfreute sich unverhohlen an ihrem betroffenen Gesichtsausdruck und zog sie dann mit einem Ruck zur Seite, als zwei weitere Männer so wuchtig neben ihr auf das Deck der Fenrir herabsprangen, dass das ganze Schiff erzitterte.
Und plötzlich war die Wirklichkeit wieder da, und schlimmer als zuvor. Die Luft erzitterte unter einem Chor gellender Schreie und kreischendem Schlachtenlärm, dem Klirren aufeinanderprallender Schwerter und den Schreien der Getroffenen. Weitere Krieger sprangen vom Steg herab, und Katharina wich hastig zur anderen Seite des Schiffes zurück, um nicht einfach über den Haufen gerannt zu werden. Sie hielt nach Erik oder Wulfgar Ausschau. Von Wulfgar war nichts zu sehen, Erik jedoch stand noch immer zusammen mit seinen vier Kriegern neben dem Durchgang in der Palisadenwand, Schwert und Schild kampfbereit erhoben. Im ersten Moment glaubte sie ernsthaft, er wäre verrückt genug, kehrtzumachen und sich in den aussichtslosen Kampf zu stürzen, dann aber wurde ihr klar, dass das Gegenteil der Fall war: Er und seine Begleiter deckten nur den Rückzug der Verteidiger, die rückwärtsgehend und einer nach denn anderen auf den Steg herausstolperten und auf die Fenrir herabsprangen. Und endlich begriff sie auch, was sie am Anblick dieses Kampfes die ganze Zeit über so irritiert hatte. Sie hatte erlebt, wozu diese gewaltigen Wikinger-Krieger imstande waren, wenn sie ihre berserkerhafte Wut einmal entfesselten.Mandreds Söldner mochten in der Überzahl sein, aber es hätte ihnen trotzdem nicht gelingen dürfen, die Wulfiborg zu stürmen; und wenn doch, dann wenigstens nicht so schnell. Doch Wulfgars Männer versuchten gar nicht, ernsthaft Widerstand zu leisten, sondern zogen sich nur Schritt für Schritt und fast geordnet zurück, um die rettende Fenrir zu erreichen. Erik selbst war der Letzte, der mit einem Sprung über die Schildwand setzte.
Hinter ihm drängten die Söldner auf den Steg. Einer von ihnen schleuderte einen Dolch, den Erik mit hochgerissenem Schwert abwehrte, und ein anderer spannte seinen Bogen und legte auf ihn an, besann sich dann aber eines Besseren, als eine Axt herangeflogen kam und ihm die Waffe (zusammen mit zwei oder drei Fingern) aus der Hand riss. Einer der Söldner war tatsächlich mutig – oder dumm – genug, mit einem beherzten Sprung auf die Fenrir überzusetzen, aber Katharina bezweifelte, dass ihm noch Zeit genug blieb, diese Idee zu bedauern.
Die Drakkar erzitterte, als die Hälfte der Männer nach den großen Rudern griff, um sie vom Steg abzustoßen, und das große Segel über ihren Köpfen spannte sich mit einem hörbaren Knall. Nur im allerersten Moment noch schwerfällig, dann von Rudern und Segel angetrieben und rasch schneller werdend, schwenkte die Fenrir herum, drehte sich fast auf der Stelle und wandte ihren bedrohlichen Drachenkopf dann dem rettenden Fluss zu. Hinter ihnen drängten mehr und mehr Söldner auf den Steg hinaus und schrien ihnen Flüche oder Schmährufe zu, und etliche begannen mit ihren Bögen auf sie zu schießen, aber sie zielten schlecht. Die meisten Pfeile fielen harmlos ins Wasser, und die wenigen, die die
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