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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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angesichts der strengen Befragung, die man ihr androhte, gab sie ihren Widerstand bald auf und gestand ihre Missetat: Wieder und wieder hatte sie ihrer Mutter des Nachts den Schlaf geraubt, hatte vor deren Kammertür schaurig geheult und ihr mit verstellter Stimme Grausiges angedroht, um sie in den Wahn zu treiben.
    Zuletzt hatte sie sich gar ein Laken über den Kopf gezogen und war in Mettels Schlafkammer erschienen, um ihre Mutter glauben zu machen, ein Geist verfolge sie. Für achtundzwanzig Tage sperrte man Grete bei Wasser und Brot in den Frankenturm, einen für jeden Tag, den Mettel in Sankt Revilien hatte zubringen müssen.«
    Lisbeth ließ die Feder sinken. Fast vermeinte sie das schelmische Schmunzeln ihrer Mutter zu sehen, wenn sie diese Zeilen las.
    »Mettel wurde natürlich alsbald aus dem Geckenhaus entlassen, doch Sankt Revilien ist ihr nicht gut bekommen. Sie ist ja schon eine alte Frau. Ihre Gesundheit hat dort gelitten, und kurz nachdem Grete aus dem Turm gelassen wurde, brachte sie Mettel dazu, ihr die Weberei zu überschreiben. Mit welchen Drohungen sie das nun wieder erreicht hat, will ich gar nicht wissen.
    Die alte Mettel hat sich auf das Altenteil zurückgezogen. Doch Ihr kennt sie ja. Bis heute will sie es nicht wahrhaben, dass es ihre eigene Tochter war, der sie ihren Aufenthalt in Sankt Revilien zu verdanken hat. Wenn die Rede darauf kommt, nimmt sie Grete in Schutz, wie sie es immer getan hat, und schimpft bitterlich über die anmaßenden Ratsherren, die ihre unschuldige Tochter völlig grundlos in den Turm gesteckt hätten.«
    Lisbeth legte die Feder aus der Hand und nahm einen Schluck Wein. Dann tauchte sie die Feder erneut in das Tintenglas und strich sie sorgfältig ab, bevor sie fortfuhr zu berichten: »Meinem Gemahl geht es gut, er lässt Euch respektvoll grüßen. Wie stets arbeitet er sehr viel und kommt gewissenhaft seiner Aufgabe als städtischer Ratsherr nach.«
    Lisbeth seufzte. In ihren Augen kam Mertyn seinen Verpflichtungen nur zu gewissenhaft nach. All seinen Verpflichtungen – mit Ausnahme der eines Ehemannes. Nachdem der neue Transfixbrief verabschiedet war, hatte Mertyn sich anderen Fragen der städtischen Verwaltung zugewandt. Doch anders als über die Seidenweberei pflegte er sich darüber mit ihr nicht zu besprechen. Wie früher saß er bis tief in die Nacht im Kontor über seinen Büchern und kam zumeist erst in die Schlafstube, wenn sie bereits schlief.
    Ergeben zuckte Lisbeth mit den Schultern. So war nun einmal sein Naturell. Lisbeth hätte es sich zwar anders gewünscht, doch so war es allemal besser, als wenn Mertyn faul wäre und bis nachts im Bierzapf säße wie der Mann von Stina Lommerzheim. Es nutzte nicht, zu klagen, gerade ihrer Mutter gegenüber nicht. Denn ihr Vater war nicht anders gewesen.
    Mochte da ein Zusammenhang bestehen, fragte Lisbeth sich. Schon von Jugend an hatte Mertyn sich Peter Lützenkirchen als Vorbild auserkoren.
    »Auch von Agnes und Sophie und Hans soll ich recht schön grüßen«, fuhr Lisbeth fort zu schreiben. »Es hat uns erfreut, zu hören, dass Ihr nunmehr acht Lehrmädchen und vier Helferinnen beschäftigt. Eure Seidenweberei scheint zu gedeihen. Nicht dass Ihr uns binnen Jahresfrist in Antwerpen auf der Messe den Rang ablauft!
    Auch Stephan sendet Euch seine Grüße. Wann immer ich ihn sehe, ist er sehr eifrig bei der Arbeit. Doch das zu hören dürfte Euch nicht überraschen, denn Ihr steht ja mit ihm in Korrespondenz.«
    Mit guten Segenswünschen für Fygen und ihren Gemahl beendete Lisbeth den Brief, streute Sand auf das Papier, der die überschüssige Tinte aufsaugen sollte, und faltete das Blatt. Wenn sie den Brief heute noch in die Wolkenburg brachte, würde Stephan dafür Sorge tragen, dass der Fuhrknecht, der Köln morgen mit einer Lieferung Wein in Richtung Brabant verließ, ihn einen Teil der Strecke mitnahm.

15 .  Kapitel
    A ber das ist …« Lisbeth fand kaum Worte, ihrer Empörung Luft zu machen. »Das ist Betrug! Klüngel, schlimmster Filz!« Verärgert stapfte sie in der Stube auf und ab, viel zu erregt, sich zu Mertyn an den Tisch zu setzen und sich ihrem späten Mittagsmahl zu widmen.
    Eineinhalb Jahre war der neue Transfixbrief nun in Kraft, und er war das Papier nicht wert, auf das man ihn geschrieben hatte, dachte Lisbeth grimmig. Nichts, gar nichts hatte sich zum Guten geändert! Immer noch gab es keinen gewählten Zunftvorstand, und wie ehedem wurde im Seidamt gegen alle Verbote verstoßen. Man gab

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