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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Seide nach Wesseling und Deutz zum Spinnen, handelte mit Knotenseide und beschäftigte Seidmacherinnen im Verlag.
    Niemand scherte sich um die Gesetze, weil der Rat nicht auf deren Einhaltung drängte. Nur auf Einhaltung eines speziellen Gebotes hatte der Rat geachtet: Keine Seidmacherin durfte nun mehr im Haus der Eltern ihrer Tätigkeit nachgehen.
    Natürlich!, zürnte Lisbeth, denn dies kam den wenigen einflussreichen Seidmacherinnen gerade zupass. Es hatte dazu geführt, dass Liese Backes und Gundula von Bruwiler sich künftig ihr Brot als angestellte Weberinnen in fremden Betrieben verdienen mussten. Liese, weil sie bislang unverheiratet war und noch keinen eigenen Hausstand gegründet hatte, und Gundula, weil sie nicht vermögend genug war, eine eigene Werkstatt auszustatten.
    Und eben hatte Apolonia Loubach Lisbeth erzählt, dass nun auch Margarete van den Berg für die Berchems arbeitete, nachdem man ihre Mutter aufgefordert hatte, sie aus ihren Diensten zu entlassen.
    Für Dora Medman, die Tochter von Frieda, hingegen war das alles keine Schwierigkeit gewesen. Ohne weiteres hatte ihre Mutter ihr eine eigene Werkstatt eingerichtet, ihr zwei Helferinnen und vier Lehrmädchen besorgt und kurzerhand Liese Backes und Gundula von Bruwiler eingestellt, Liese für den Betrieb ihrer Tochter, und Gundula, damit sie Dora in ihrem eigenen Betrieb ersetzte.
    Dieses Gesetz, das eigentlich dazu gedacht war, die ärmeren Seidenweberinnen zu schützen, hatte nun dazu geführt, dass das Kränzchen um Brigitta van Berchem noch einflussreicher, noch vermögender, noch satter wurde.
    »Du musst etwas dagegen unternehmen. Du kannst nicht zusehen, wie weiterhin solches Unrecht geschieht!«, forderte Lisbeth hitzig.
    Mertyn legte unwillig den Kanten Brot beiseite, den er eben in seine Brühe tunken wollte. Er konnte es überhaupt nicht leiden, wenn man ihm sagte, was er zu tun hatte. »Meinst du, ich hätte nicht längst versucht, dagegen zu intervenieren?«, fragte er. »Aber was soll ich denn machen? Der Transfixbrief stellt unter Strafe, fremde Seide zu verweben. Hörst du? Fremde Seide! Wenn dagegen verstoßen wird, werden die Ärmsten bestraft, die ohnehin nichts zu beißen haben. Nicht die reichen Verlegerinnen. Die Armen können die hohen Strafen aber nicht bezahlen. Wenn ich auf Einhaltung dieser Bestimmung poche, wird manch eine von ihnen ihre Weberei schließen und auch noch bei den Berchems und Konsorten schuften müssen. Ist es das, was du willst? Der verdammte Wortlaut des Transfixbriefes ist nun einmal so.«
    »Du hast gesagt, auf den Wortlaut käme es nicht an!« Lisbeth war bitter enttäuscht, und sie wusste selbst, wie ungerecht ihre Worte waren.
    »Ich habe mich geirrt.«
    »Dann ändere den Transfixbrief.«
    »Lisbeth, das ist Unsinn«, sagte Mertyn müde. »Ich bin kein Ratsherr mehr. Eine Amtszeit dauert nur ein Jahr. Frühestens in einem guten Jahr kann ich wiedergewählt werden. Und selbst wenn ich Ratsherr wäre, so ginge es nicht. Du weißt genau, dass ich gegen den Einfluss mancher Ratsherren machtlos bin.«
    Lisbeth schnaubte. »Mein Vater hätte sich damit nicht zufriedengegeben!« Verärgert wollte sie die Stube verlassen. Der Appetit war ihr gründlich vergangen.
    In dem Moment wurde die Tür mit einem Ruck aufgerissen, und ein kleiner Wirbelwind fegte ihr entgegen. »Tante Lisbeth!«
    »Sophie, was machst du denn hier? Bist du wieder ausgebüxt?«, begrüßte Lisbeth ihre Nichte.
    Sophie entsann sich ihrer Erziehung und knickste kurz vor Mertyn. »Guten Tag, Oheim.«
    »Guten Tag, Sophie«, entgegnete Mertyn, doch Sophie beachtete ihn nicht weiter. Sie hatte sich wieder Lisbeth zugewandt. »Ich brauche deine Hilfe, Tante Lisbeth!«, flehte sie und krauste mit der ganzen Dramatik, zu der eine Zwölfjährige fähig war, die Stirn.
    »Wobei?«, fragte Lisbeth und unterdrückte ein Schmunzeln.
    »Ich will Seidmacherin werden!«, verkündete Sophie.
    »Das ist schön«, sagte Lisbeth ernsthaft. »Dann bekomme ich ja ein fleißiges Lehrmädchen.«
    »Gerade nicht! Deshalb brauche ich ja deine Hilfe, Tante Lisbeth. Ich darf nicht Seidmechersche werden! Der Herr Vater hat es verboten. Es gezieme sich nicht!«
    Lisbeth entfuhr ein Schnauben. Diese verdammten Mannsbilder brachten sie heute allesamt mächtig zur Weißglut! »Nun, dann werden wir uns einmal mit deinem Vater unterhalten müssen«, sagte sie grimmig.
    »Oh, tust du das, Tante Lisbeth? Wirklich? Ich werde auch die beste Seidmacherin der Welt, und

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