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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Ecken glatt, dann verließ sie ihren Stand. Sie brauchte sich nicht zu sorgen, dass jemand sich an ihrem Eigentum vergreifen würde. Mathias würde hier unter dem Stand sein Nachtlager aufschlagen und ihre Waren nicht aus den Augen lassen.
     
    »Ich weiß nicht, ob ich ihn nehmen soll. Es gibt ja keine reiche Auswahl mehr«, mäkelte die Dame. Sie hielt das Ende eines smaragdgrünen Tafts in den Händen und zog skeptisch die Brauen hoch.
    »Nun, wenn Ihr den Ballen nicht nehmt, so kauft ihn morgen ein anderer«, beschied Lisbeth der unentschlossenen Kundin. Bereits seit einer geschlagenen Stunde schlich die Frau um ihren Stand herum, befühlte die Seiden, ließ sich beinahe jeden Ballen ein Stück weit abwickeln. Doch zum Kauf mochte sie sich nicht entschließen.
    Die Halle hatte sich geleert, und nur noch vereinzelt standen Käufer und Verkäufer im Gespräch. Verstohlen legte Lisbeth die Hand an den schmerzenden Rücken. Es machte einen gewaltigen Unterschied, ob man in der Werkstatt hin und her eilte, mal am Webstuhl saß, sich bewegte, oder ob man stundenlang auf der Stelle hinter der Verkaufstheke stand und Kunden bediente.
    Obschon Lisbeth es genossen hatte, mit den Käufern zu verhandeln, denn nicht wenige davon kannte sie bereits aus den vorausgegangenen Jahren. Sie schätzten Lisbeths Stoffe und kamen eigens an ihren Stand. So mancher begrüßte Lisbeth inzwischen wie eine alte Bekannte. Man wechselte das ein oder andere freundschaftliche Wort und erkundigte sich nach der Familie.
    Doch diese hier würde sicher nicht zu ihrer Stammkundin werden, dachte Lisbeth, als die Frau ein neuerliches »Ich weiß nicht recht …« von sich gab. Wenn das ein unbeholfener Versuch sein sollte, den Preis zu drücken, so würde sie sicher nicht darauf eingehen. Entschlossen griff sie nach dem Laken und begann die wenigen noch verbliebenen Ballen abzudecken. Sie glaubte nicht, dass die Frau tatsächlich etwas erwerben würde. Und wenn sie wirklich Seide erstehen wollte, so würde sie morgen wiederkommen.
    Konsterniert blickte die Kundin sie an, doch Lisbeth reagierte nicht darauf. Die Geschäftswoche ging ihrem Ende zu. Sie war anstrengend gewesen, aber erfolgreich, und das schöne Wetter hatte die Geschäfte begünstigt. Die wenigen noch verbliebenen Ballen würden morgen auch noch ihre Käufer finden. Es bestand überhaupt keine Notwendigkeit, sie heute unter Preis zu verkaufen.
    Freundlich, doch bestimmt nahm sie der Frau den grünen Stoff aus den Händen, wickelte ihn sorgfältig auf und breitete auch über die letzten Ballen das Laken.
    »Ja, wenn Ihr es nicht nötig habt …«, schnappte die Kundin.
    Lisbeth überhörte die Unhöflichkeit. »Einen schönen Abend«, wünschte sie der Dame abschließend, verabschiedete sich mit einem Nicken von Mathias und strebte dem Tor der Römerhallen zu. Eine sauertöpfische Kundin vermochte es nicht, ihre gute Laune zu trüben. Sie wusste um die Qualität und den Wert ihrer Stoffe, das hatten ihr die guten Verkäufe der vergangenen Tage bewiesen.
    Beschwingt trat Lisbeth auf den Römerplatz hinaus. Die Hitze des Tages war einer wunderbar lauen Abendluft gewichen. Lisbeth beschleunigte ihren Schritt und querte den Platz. Auch hier waren die letzten Händler eben dabei, ihre Stände für die Nacht zu sichern.
    Der Wirt des Lämmchens hatte Stühle und Bänke vor die Tür geschafft, und der Hof füllte sich zusehends mit Hungrigen und Durstigen. Hier bei Jörg Blum hatten die Ravensburger für die Zeit der Messe ihr Quartier bezogen, so wie die kölnischen Kaufleute im Steinernen Haus und die Nürnberger im Großen Nürnberger Hof gleich nebenan, freilich mit dem Unterschied, dass Letzterer nicht gemietet war, sondern der Kaufmannschaft der Oberdeutschen gehörte.
    Blum war bei den auswärtigen Kaufleuten für seine schmackhafte Rindswurst berühmt und für die deftigen Rippchen mit Kraut, und so fanden sich des Abends nach getaner Arbeit unter der ausladenden Krone der alten Linde in seinem Hof nicht nur Ravensburger, sondern auch kölnische, Nürnberger und Augsburger Gäste ein.
    An diesem Abend herrschte eine gehobene Stimmung im Hof des Lämmchens, und die Schankmädchen schleppten Krug um Krug des erfrischenden Apfelweins heraus. Man freute sich der erfolgreichen Geschäfte, denn wenn die Geschäftswoche auch noch nicht ganz vorüber war, so war bereit jetzt erkennbar, dass diese Messe ein Erfolg werden würde. Wenn dazu in der folgenden Zahlwoche noch die Gläubiger ihren

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