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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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nun gehabt Euch nicht so wegen der paar Fuß!«, tönte die schnarrende Stimme von Brigitta van Berchem herüber. Lässig lehnte die Seidmacherin ein paar Schritte entfernt an ihrem Stand.
    Ihr gegenüber hatte sich Mechthild van der Sar aufgebaut und stemmte die Hände in die Hüften. »Wegen der paar Fuß, wie Ihr es nennt, passt mein Stand nicht hierher!«
    Lisbeth und Katharina wechselten einen beredten Blick.
    »Dann macht ihn halt etwas kleiner. Auf das Stückchen kommt es doch wohl nicht an«, empfahl Brigitta ungerührt.
    »Doch, es kommt genau darauf an. So kann ich nämlich den letzten Tisch nicht stellen!«, beharrte Mechthild. Ihre Stimme gewann an Höhe und Lautstärke, und die Umstehenden unterbrachen nur zu willig ihre Arbeit, um dem Gezänk zu lauschen.
    Von den Zankenden unbemerkt, war Dres van der Sar davongeeilt und kehrte nun zurück, energischen Schrittes gefolgt von einem städtischen Bediensteten. Ohne sich in den Disput der Frauen hineinziehen zu lassen, legte dieser die Messlatte an. Seiner Miene war unschwer anzusehen, dass das Gekeife der Weiber an seinen Nerven zerrte.
    Mit flinker Hand, die bewies, dass er kein Neuling in seinem Amt war, vermaß er Brigittas Stand. Dann richtete er sich auf und wies auf einen Punkt, der mittig unter Brigittas letztem Tisch lag. »Da ist Euer Platz zu Ende«, sagte er in einem Ton, der keine Widerrede duldete. »Verkleinert den Stand!«
    »Ihr wisst wohl nicht, mit wem Ihr redet?«, fuhr Brigitta auf.
    »Mit einem Weib, das gleich den Handel verboten bekommt, wenn es nicht meinen Anweisungen Folge leistet«, gab der Städtische ruhig zurück.
    Ärgerlich biss Brigitta die Zähne zusammen. Einen Moment lang erwog sie, diesem herablassenden Wicht gehörig den Kopf zu waschen. Doch sie fürchtete, dass der Name van Berchem hier in Frankfurt nicht den Klang besaß, den er in Köln hatte, und bevor sie riskierte, dass man ihr tatsächlich den Handel verbot … Widerwillig gab sie ihrem Knecht ein Zeichen, den Stand zu verkleinern.
    Mechthild bedachte Brigitta mit einem triumphierenden Lächeln und fuhr darin fort, ihren Stand zu bestücken. Erneut wechselten Lisbeth und Katharina einen Blick. Sie wussten, Mechthild hatte sich damit keinen Gefallen getan.
    In dem Moment erschienen Mathias und Thomas mit den ersten Packen, die Lisbeths Seidenballen enthielten. Auf einem Handkarren hatten sie diese den Weg vom Leonhardstor, wo die Schiffe anlandeten, heraufgebracht und luden sie nun vor den Verkaufstischen ab.
    Lisbeth nahm ein scharfes Messer zur Hand und öffnete vorsichtig die Nähte der Einschlagtücher. Sie entnahm dem ersten Packen den obersten Ballen, prüfte ihn gewissenhaft von allen Seiten, und als sie keinen Fehl daran finden konnte, legte sie ihn auf den Verkaufstisch. Packen für Packen nahm sie sich vor, prüfte, sortierte und stapelte die Ballen nach Farbe und Webart gesondert auf die Verkaufstische: leichten Sindel für Fahnen und Dekorationen, dünnen Taft für Futter, schweren Taft und gewichtigen Sammet für Kleider.
    Als Lisbeth schließlich auch den letzten Packen der zweiten Fuhre, die ihre Helfer ihr gebracht hatten, überprüft und sortiert hatte, zeigte sich, wie gut sie daran getan hatte, die Ballen sorgfältig einschlagen zu lassen. Nicht ein einziger Ballen hatte Schaden genommen, weder durch Feuchtigkeit noch durch Staub.
    Zufrieden trat Lisbeth einen Schritt von ihrem Stand zurück und betrachtete die Stapel, die nachtblau, smaragd und grün, die zimtfarben, dottergelb, rosa und purpur leuchteten – ein Anblick, der sie mit Freude und Stolz erfüllte. Lisbeth hob den Blick und ließ ihn durch die Römerhalle schweifen. Der farbige Anblick wiederholte sich auf den benachbarten Ständen und vereinigte sich zu einer einzigartigen Komposition aus Farben, wie sie auf der schönsten Blumenwiese nicht zu finden wäre.
    Die grandiose Farbenpracht erinnerte Lisbeth an ihre Nichte. Sophie liebte Farben so sehr, dass dies hier geradezu ein Geschenk für sie wäre. Vielleicht würde Agnes ihr ja gestatten, ihre Tochter im nächsten Jahr mit auf die Reise zu nehmen? Für Sophie wäre es eine lehrreiche Erfahrung, und Lisbeth würde es nicht schaden, wenn ihr jemand am Stand zur Hand ginge.
    Für einen kurzen Moment genoss Lisbeth den Anblick, dann griff sie nach einem leinenen Laken und breitete es über die farbige Pracht. Bis morgen früh würde der graue Lappen die Stoffe vor Staub und Licht schützen. Sorgfältig zog sie noch einmal die

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