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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Mittelmeer herbeibrachten.
    Fast ausschließlich fremde Handwerker und Kaufleute würden ihre Waren feilbieten. Dass die in Frankfurt ansässigen Händler selbst nicht so unternehmungslustig waren, in die Welt zu reisen, um Handel zu treiben, dass ihre Handwerker an Fertigkeiten und Raffinesse ihren kölnischen und Nürnberger Kollegen nachstanden – wer konnte es ihnen verübeln? Die Welt kam doch zu ihnen, um direkt vor ihrer Tür mit den erlesensten Waren, die man sich nur vorstellen konnte, Handel zu treiben: mit Brabanter Tuch und Spitzen, mit venezianischen Glaswaren, mit Rosenkränzen aus Tirol, mit Heringen aus Lübeck, mit Pferden, Bauholz und Juwelen, mit orientalischen Gewürzen und nicht zuletzt mit Büchern – auch mit solchen, die anderen Ortes der Zensur unterlagen.
    Doch von all diesen Kostbarkeiten war zu dieser frühen Morgenstunde noch wenig zu sehen. Sie befanden sich noch verladen auf Karren und Fuhrwerken auf den Straßen und Gassen oder ruhten in den Lagerhäusern am Mainufer oder in den von Frankfurter Wirten gemieteten Kellern und Gewölben.
    Behende wich Lisbeth den Karren und Trägern aus, die mit Bauhölzern jeder Länge und Breite beladen waren. Vorbei an Bretterstapeln und über Haufen aus Sägespänen hinweg erreichte sie schließlich den Römer, Frankfurts Rathaus und gute Stube. Erhaben blickten die Treppengiebel auf das Getriebe am Fuß ihrer Fassade hinab, und es mochte scheinen, dass sie es mit Wohlwollen betrachteten, denn jeder abgeschlossene Handel, jedes erfolgreiche Geschäft diente dazu, Ruhm und Einfluss der Stadt zu mehren.
    Vor gut einem Jahrhundert hatte man die beiden Häuser Zum Römer und Goldener Schwan zum neuen Rathaus umgebaut, weil das alte Rathaus am Dom den Anforderungen der stetig wachsenden Bürgerschaft nicht mehr genügt hatte, und das Gewölbe, das sich über das gesamte Erdgeschoss erstreckte, barg den wohl begehrtesten Verkaufsplatz überhaupt: die Römerhalle.
    Die Stände entlang der Säulen unter den Kreuzrippen waren den Händlern ganz besonders edler Waren vorbehalten – hier handelte man mit Juwelen, Seide und Brokat. Der Fuß Standplatz wurde hier zu einem Schilling vermietet, was beileibe ein hoher Preis war, doch der Einsatz lohnte sich. Denn die Kunden, die nach Erlesenem suchten, fanden ihren Weg hierher. Und hier, nicht weit vom Eingang entfernt, hatte auch Lisbeth ihren angestammten Platz, um den sie so manch eine Seidmacherin beneidete. Zusammen mit der Weberei hatte sie ihn von ihrer Mutter übernommen.
    Als Lisbeth an ihren Platz trat, hatten Mathias und Thomas bereits die Pfosten zu Tischgestellen verschraubt und Bretter darübergelegt. Nun machten sie sich auf den Weg zum Hafen, um die Seidenballen zu holen, die immer noch an Bord des Oberländers darauf warteten, entladen zu werden.
    »Guten Morgen«, begrüßte Lisbeth Katharina Loubach, die am Stand nebenan bereits damit beschäftigt war, die letzten Ballen zu arrangieren. Sie mochte Katharina. Trotzdem gab es ihr einen Stich, die junge Seidmacherin am Stand neben sich zu sehen. Der Standplatz hatte einst ihrer Schwiegermutter gehört, und als Katryn Lisbeth ihren Betrieb übergeben hatte, hatte diese den Platz an Clairgin weitergereicht. Doch wie die anderen kleineren Seidmacherinnen reiste Clairgin seit ein paar Jahren nicht mehr zur Frankfurter Messe. Sie hätte sich weder die Kosten für die Reise noch die Standgebühren leisten können, und überdies: Was hätte sie hier auch anbieten sollen, bei den geringen Mengen, die sie und ihre Töchter webten? Und so hatte Clairgin den Standplatz wiederum an Katharina weitergegeben.
    »Bist du schon wieder oder immer noch hier?«, flachste Lisbeth, um ihre Gefühle zu überspielen.
    »Ja, wenn man so lange in den Federn liegt wie du, dann braucht man natürlich bis in den Abend für den Aufbau«, gab Katharina lachend zurück. Sie schlug die Ecken der oberen Stoffe einladend um, so dass sich den Käufern die glänzende rechte Seite darbot. »Nein, im Ernst. Unser Knecht war gestern mit den Waren so zeitig hier, dass er schon alles vorbereitet hatte. Und ich habe auch nichts dagegen, mich heute Nachmittag ein wenig auszuruhen, bevor es losgeht.«
    Lisbeth entfaltete ein stabiles Laken aus festem Barchent und breitete es über die Tische. Die Bretter waren zwar alle glatt gehobelt, aber sie wollte sichergehen, dass sich nicht ein einziger Splint in den feinen Geweben verfing und womöglich Fäden zog oder Löcher hineinriss.
    »Ach,

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