Die Tochter der Seidenweberin
Gesuch unterstützt.
Doch heute hatte der Rat der Stadt Köln seinen Beschluss bestätigt. Es blieb dabei: Die fremden Faktoren würden das Bürgerrecht erwerben müssen, wenn sie weiterhin in Köln Handel treiben wollten, und dürften nur noch mit eigenem Gut handeln, nicht mit dem der Gesellschaften.
»Die Oberdeutschen Handelsgesellschaften werden ihre Faktoreien schließen«, folgerte Lisbeth.
Mertyn nickte und hob in hilfloser Geste die Hände. »Ich habe es nicht verhindern können. Berchem und Konsorten sehen nur den kurzfristigen Gewinn, mit dem sie hoffen, die Löcher in der Stadtkasse zu stopfen. Dass Handelsfreiheiten der Stadt langfristig zugutekommen, weil es ihren Status als Handelszentrum stärkt, das wollen sie nicht einsehen.«
Lisbeth malte sich aus, welche Folgen das zeitigen würde, vor allem für ihre Familie. Mertyn wurde durch diesen Ratsbeschluss nicht tangiert, er besaß kein Faktorenamt und handelte nur auf eigene Rechnung. Auch ihre Mutter würde die Entscheidung nicht besonders schmerzlich treffen, denn ihren Briefen zufolge führte sie in Valencia ein glückliches Leben als Seidmacherin. Nichts anderes hatte sie zeitlebens sein wollen, daher würde sie gut ohne das Faktorenamt auskommen.
Anders dagegen Stephan. Doch wirkliche Sorgen brauchte Lisbeth sich um ihn auch nicht zu machen. Ein so versierter Kaufmannsgehilfe wie er würde jederzeit eine neue Anstellung finden, wenn er sich nicht gar auf eigene Füße stellte.
Hans Her würde es gleichfalls keine Schwierigkeiten bereiten. Im Gegenteil, er führte den Gelieger, die Hauptniederlassung, der Ravensburger in Antwerpen, der durch die Entscheidung des Rates eher noch an Bedeutung hinzugewinnen würde. Köln war für ihn immer nur ein nachrangiger Handelsplatz gewesen. Schlimmstenfalls würden er und Tante Fya nach Antwerpen übersiedeln.
Gänzlich anders stand es dagegen bei Andreas Imhoff. Lisbeth meinte, Gesprächen entnommen zu haben, dass er sich in den Geschäften, die er auf eigene Rechnung führte, nie als sonderlich erfolgreich erwiesen hatte. Für ihn hätte es schwerwiegende Folgen, wenn er seine Faktorenstelle bei den Fuggern verlieren würde.
»Du solltest deiner Mutter schreiben«, sagte Mertyn und riss sie aus ihren Überlegungen. »Sie sollte es so bald wie möglich erfahren.«
»Ja, das werde ich. Heute Abend noch.«
Mertyn verließ die Werkstatt, und Lisbeth schaute, wie weit Sophie mit ihren Musterstücken gekommen war. »Ich erwarte heute noch eine Fuhre von Färber Quettinck. Du kannst ihm die Stoffmuster dann gleich mitgeben«, sagte sie zu ihrer Nichte.
»Wann?«, fragte Sophie atemlos. »Wann kommen sie?« Auf ihren Wangen bildeten sich überraschend rote Flecken.
»Gleich. Noch heute Morgen«, antwortete Lisbeth. »Aber du bist ja bald fertig.«
»Ja, einen Moment noch«, sagte Sophie. Fahrig machte sie einen weiteren Schnitt in die Seide, der ihr jedoch reichlich schief geriet. Unwillig schüttelte sie den Kopf und begradigte die Kante. Dann legte sie scheppernd die Schere aus der Hand. »Ich bin gleich zurück«, sagte sie und hastete aus der Werkstatt.
Kopfschüttelnd blickte Lisbeth ihr nach. »Erkläre mir einer dieses Kind«, murmelte sie.
Nur wenig später erschien Sophie wieder in der Werkstatt. Das Rot auf ihren Wangen hatte sich vertieft, und Lisbeth bemerkte, dass sie ihre Zöpfe neu geflochten und eine frische Schürze vor ihr Kleid gebunden hatte.
Sogleich machte Sophie sich wieder daran, Musterstücke zu schneiden, doch sie war nicht recht bei der Sache. Bei jedem Geräusch, das von der Obermarspforte hereindrang, hob sie lauschend den Kopf.
Endlich rumpelte ein Fuhrwerk in den Hof und kam vor der Werkstatt zum Stehen. Sophie fuhr auf, strich ihren Rock glatt und eilte in den Hof, wo Jacobus, der kräftige Geselle von Färber Quettinck, soeben vom Bock des Karrens sprang und sich an der Plane zu schaffen machte, die seine kostbare Fracht gegen den Regen schützte.
Lisbeth, die ihrer Nichte gefolgt war, bemerkte, wie schlagartig die aufgeregte Freude aus dem Gesicht des Mädchens wich und trauriger Enttäuschung Platz machte. Und plötzlich verstand sie. Nicht der Eifer hatte ihre Nichte so erregt. Sophie war verliebt!
Das Mädchen hatte sehnsüchtig auf jemanden gewartet. Doch dieser Jemand war nicht Jacobus, das war Sophie unschwer anzusehen. Es musste ein anderer der Burschen von Färber Quettinck sein. Vielleicht der blondgelockte Lehrbursche, der Sophie vor Jahren in der
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