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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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sich schwerfällig in den Sessel sinken.
    »Lisbeth, ich …«, hob Stephan an, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Meine Mutter hat geschrieben. Die Faktorei soll aufgelöst werden. Sie bat mich, es dir zu sagen«, sagte sie, wie sie es sich vorgenommen hatte. Es half nicht, um den Brei herumzureden. Stephan war ein erwachsener Mann, und Fygens Entscheidung kam nicht überraschend. Die Fugger hatten Andreas Imhoff schon vor längerem mitgeteilt, dass sie seiner Dienste nicht länger bedurften, und die anderen Handelsgesellschaften waren ähnlich verfahren.
    Stephan nickte. »Nur die Faktorei?«, fragte er.
    »Nein«, gestand Lisbeth ein. »Das ganze Handelskontor. Wenn alle Forderungen beglichen und die Außenstände eingegangen sind, soll Hans Her das Vermögen als Treuhänder für meine Mutter verwalten.«
    Stephan presste die Lippen zusammen und nickte. In der Tat hatte er diese Entwicklung kommen sehen. Zwar nicht so bald, doch er war vorbereitet.
    »Meine Mutter wünscht, dass ich die Bücher prüfe«, fügte Lisbeth hinzu.
    »Aber das ist doch unnötig!« Beinahe heftig stieß Stephan die Worte hervor, und Lisbeth sah, wie sein Mundwinkel zuckte. »In deinem Zustand solltest du dir nicht auch noch diese Mühe zumuten.«
    Stephans Fürsorge rührte Lisbeth, doch sie schüttelte den Kopf. Vor Jahren, als Fygen sie darum gebeten hatte, war sie dem Wunsch ihrer Mutter schon nicht nachgekommen, und ein klein wenig nagte deshalb das schlechte Gewissen an ihr. Obschon sie sicher war, die Geschäftspapiere in bester Ordnung vorzufinden, bat sie daher: »Kannst du mir die Bücher bringen? Mir ist es am liebsten, ich beginne sofort.«
    Stephan zögerte einen Moment, dann ging er zum Regal und nahm zwei in Schweinsleder gebundene Folianten heraus.
    Einen der beiden schob er ihr hin. »Das sind die Aufzeichnungen über Geschäfte im Namen der Ravensburger Handelsgesellschaft«, erklärte er ihr. Das andere legte er neben sich auf dem Tisch ab.
    Lisbeth überflog zunächst die Liste der Geschäftsvorfälle der Faktorei, dann suchte sie sich wahllos einige Zeilen heraus und versuchte, sie anhand der Zahlen in den Konten wiederzufinden. Es gelang ihr ohne Mühen. Sorgfältig waren alle Vorfälle gebucht, die Summen zum Ende des Jahres saldiert und entsprechend mit der Zentrale abgerechnet.
    Soweit sie das beurteilen konnte, hatte Stephan gute Arbeit geleistet, die Faktorei hatte schöne Erträge erwirtschaftet.
    Die ganze Zeit über, in der Lisbeth in das Buch vertieft war, hatte Stephan ruhig dabeigesessen und sie beobachtet. Als sie nun den Kopf hob, lächelte er sie an. »Und, bist du zufrieden mit meinen Büchern?«, fragte er.
    Lisbeth vermeinte in seinen Worten einen gereizten Unterton zu vernehmen, doch das mochte von der Schwangerschaft herrühren. Sie war in letzter Zeit sehr empfindlich.
    »Ja, das bin ich. Du wärst sicher ein sehr erfolgreicher Kaufmann. Hast du schon mal daran gedacht, dich auf eigene Füße zu stellen?«
    »Ja, so etwas ziehe ich in Erwägung«, gab Stephan vage zur Antwort.
    »Vielleicht würde Mertyn dir ein Darlehen geben. Oder meine Mutter«, überlegte Lisbeth.
    Stephan schnaubte vernehmlich durch die Nase. »Meinst du wirklich, Mertyn würde mir ein Darlehen geben?«
    »Frag ihn doch einfach. Was hast du zu verlieren? Er kann nicht mehr als ablehnen. Und dann könntest du immer noch Hans Her fragen. Oder Andreas Imhoff. Reichst du mir nun bitte das andere Buch?«
    »Aber Lisbeth, du siehst doch, dass alles in Ordnung ist!« Stephan verschränkte die Hände über dem Folianten. »Andreas Imhoff, das wäre eine Möglichkeit. Ich sollte gleich zu ihm gehen.« Stephan machte Anstalten, sich zu erheben.
    »Lass mich noch eben in das Buch schauen. Bitte! Ich bin es meiner Mutter schuldig. Es dauert auch sicher nicht lange.« Lisbeth streckte die Hand aus.
    Zögerlich schob Stephan das Buch über den Tisch. Lisbeth schlug es auf der Seite mit den letzten Eintragungen auf. Fein säuberlich waren hier die Ein- und Verkäufe von Waren verzeichnet, zumeist von Rohseide, Wein und Wolltuchen.
    Lisbeth blätterte einige Seiten zurück. Auch hier das gleiche Bild, Seite für Seite. Nirgendwo fanden sich Konten. Nur diese Liste.
    Lisbeth schlug die vorderen Seiten auf. Sie trugen noch Hermans Handschrift, und hier fanden sich Konten. Die letzten datierten auf das Jahr 1503 . Nach Hermans Tod schien Stephan zur alten Form der Buchführung zurückgekehrt zu sein. Lisbeth runzelte die Stirn. »Wo

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