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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Werkstatt herumgeführt hatte?
    »Sophie«, rief sie, »ich glaube, du solltest mit Jacobus zu Färber Quettinck fahren und ihm erklären, wie wir uns die Muster vorstellen.«
    Sogleich kehrte das Strahlen zurück auf das Gesicht ihrer Lehrtochter. »Danke, Tan… Danke, Frau Meisterin!«, sagte Sophie und eilte, die Stoffmuster zu holen.
    Unversehens spürte Lisbeth, wie Übelkeit in ihr aufstieg und eine ungewohnte Schwäche sie ergriff. Der Schmerz hinter ihrer Schläfe pochte quälend. Auf unsicheren Beinen ging sie zurück in die Werkstatt und ließ sich auf ihren Hocker sinken.
    »Ist Euch nicht wohl?«, fragte Gertrud und blinzelte besorgt. »Ihr seid kreideweiß um die Nase! Ihr solltet Euch hinlegen. Soll ich Euch in Eure Kammer geleiten?«
    »Nein, es ist nichts«, entgegnete Lisbeth. »Nur eine kleine Schwäche. Es geht mir sicher gleich wieder gut.«
    Doch Gertrud ließ sich nicht beirren. »Los, hol Wasser!«, befahl sie einem der Lehrmädchen. »Beeil dich!«
    Lisbeths Übelkeit währte nicht lange. Nachdem sie einen Becher Wasser getrunken hatte, kehrte alsbald die Farbe in ihr Gesicht zurück, und auch der Kopfschmerz wich. Und als sie sich kurz darauf erhob, um ihre Arbeit fortzusetzen, verspürte sie sogar ein wenig Appetit. Es war bald Mittagszeit. Sie hätte richtige Lust auf etwas Herzhaftes. Saurer Kappes mit gebratenen Würstchen wäre schön.
    »Oh, mein Gott!«, entfuhr es ihr.
    »Was ist?«, fragte Gertrud. »Ist Euch wieder schwindelig?«
    »Nein. Nein. Es ist alles in Ordnung«, beruhigte Lisbeth ihre alte Helferin und brachte sogar ein Lächeln zustande. Saurer Kappes! Ihr war unwohl, und zugleich hatte sie Appetit auf sauren Kappes! Das konnte nur eines bedeuten: Sie war wieder in Umständen.
    Wie ein Stich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf: Stephan! War das Kind von ihm, fragte sie sich entsetzt. Hatte jene Nacht auf der Messe Folgen gezeitigt, und sie trug nun das Kind ihres Schwagers unter ihrem Herzen?
    Der Gedanke ließ sie schaudern. Was sollte sie nun tun, fragte sie sich und spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Was, wenn das Kind tatsächlich von Stephan wäre?
    Niemand wusste um die Geschehnisse in jener Nacht, und natürlich war auch Mertyn ab und an seinen ehelichen Pflichten nachgekommen. Mertyn und Stephan ähnelten einander, so dass man dem Kind nie würde ansehen können, wer von beiden der Vater wäre. Niemand würde beim Anblick des Kindes auch nur den leisesten Zweifel hegen – außer ihr selbst. Nur sie würde sich nie sicher sein können, dass das Kind – wenn es denn tatsächlich zur Welt käme – von ihrem Gemahl wäre.
    Die Worte der wunderlichen alten Frau, die in dem Verschlag gegenüber der Wolkenburg hauste, kamen ihr in den Sinn: »Leider gehen Wünsche meist ein wenig anders in Erfüllung, als man es sich vorgestellt hat.« Die Alte hatte Lisbeth ein Amulett gefertigt, damit ihr größter Wunsch in Erfüllung ginge. Und ein Kind zu bekommen war zweifellos ihr größter Wunsch gewesen.
    Damals hatte Lisbeth die Sache nicht ernst genommen und das Gerede vielmehr der Geschäftstüchtigkeit der Alten zugeschrieben. Doch in jener Nacht mit Stephan trug sie das Amulett. Hatte sie ihre Schwangerschaft seinem Zauber zu verdanken? Lisbeth seufzte. Auch das würde auf ewig ein Rätsel bleiben.
    Sie glaubte nicht daran, dass sie dieses Kind lebend und gesund zur Welt bringen würde. Sie hatte die Ehe gebrochen und sich mit einer schweren Sünde beladen. Wie sollte der Herrgott das zulassen, wenn er schon die Frucht ihrer Ehe nicht gesegnet hatte?
    Doch Lisbeths Schwangerschaft schritt voran. Nach einer Weile legte sich die anfängliche Übelkeit, und mit den Wochen begann ihr Leib sich zu runden. Nach ihren traurigen Erfahrungen fürchtete sie sich stets davor, das Kind plötzlich zu verlieren, aber nichts geschah. Lisbeth fühlte sich kräftig und ging wie gewohnt ihrer Arbeit nach.
    Im Frühjahr allerdings wurde es ihr beschwerlich, sich hinter den Webstuhl zu setzen, und sie beschränkte sich auf weniger anstrengende Aufgaben. Endlich begann sie selbst daran zu glauben, dass sie wirklich Mutter würde. Eine stille Freude erfüllte sie, wenn auch bisweilen ein wenig getrübt durch den Gedanken, dass womöglich nicht Mertyn der Vater des Kindes wäre. Es versetzte ihr jedes Mal einen Stich, zu sehen, wie sehr er sich auf dieses Kind freute.
    Lisbeth hatte sich einen Hocker in den Hof stellen lassen und ließ sich von der Morgensonne wärmen, während sie

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