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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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hatte, ließ Lisbeth sich auf einen niedrigen dreibeinigen Hocker sinken und presste stöhnend die Hände an die schmerzende Stirn.
    »Tante Lisbeth?« Sophie war wieder aus ihrem Webstuhl geschlüpft. Sie hatte sich noch immer nicht angewöhnen können, Lisbeth ›Frau Meisterin‹ zu nennen.
    Lisbeth seufzte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als einen Moment der Ruhe, damit der Schmerz in ihrem Kopf ein wenig nachließe. Doch bevor sie Sophie rügen konnte, fuhr diese hastig fort: »Warum lassen wir nicht einfach Muster färben? Von allen Farben, die es gibt, eines. Dann könnten sich solche umständlichen Weiber schneller entscheiden.«
    »Sophie!«, ermahnte Lisbeth. »Frau Rinck ist kein umständliches Weib! Sie ist eine gute Kundin, die uns einen guten Auftrag gegeben hat.«
    Mit einem flüchtigen Zucken ihrer schmalen Schultern ging Sophie über die Rüge ihrer Tante hinweg. Eifrig fuhr sie fort: »Es müssten ja keine großen Stücke sein. Vielleicht nur so groß.« Mit den Fingern deutete sie die Größe eines Handtellers an. »Gerade groß genug, damit man die Farbe gut erkennen kann. Und es verursacht keinen Aufwand, die Muster anzufertigen. Man braucht doch einfach nur ein Muster in alle Farbbäder mit hineinzulegen. Die Muster könnten wir dann alle zusammenheften wie ein Buch. Und wir schreiben dazu, welche Farbe es ist. Dann kann sich …« Sophie zögerte. »Dann kann sich Meister Quettinck auch nicht vertun.«
    Aufmerksam blickte Lisbeth ihre Nichte an. Der Vorschlag war nicht dumm. Farben treffend zu beschreiben war äußerst schwierig. Wenn Kunden keine bereits gefärbte Ware kauften, sondern eine größere Menge Seide in einer bestimmten Farbe bestellten, bestand immer die Gefahr, dass die Farbe anders ausfiel, als die Kunden erwartet hatten. Da wären Muster in der Tat hilfreich.
    Ein Lächeln schlich sich auf Lisbeths Gesicht. Dieser Vorschlag war wieder einmal typisch für ihre Nichte. Sophie war eine geschickte Weberin geworden. Sie hatte einen wachen Verstand, und in dem knappen Jahr, das sie nun bei Lisbeth war, hatte sie bereits alles erlernt, was es in einer Seidenweberei zu lernen gab. So ein aufgewecktes Lehrmädchen hatte Lisbeth noch nie gehabt.
    Trotzdem bezweifelte sie, dass Sophie einmal eine gute Seidenweberin würde. Dazu gebrach es ihr einfach an der nötigen Ausdauer. Stets war sie begierig, Neues zu erlernen, doch sobald sie die Zusammenhänge einmal erfasst hatte, sobald sie einen Arbeitsgang beherrschte, verlor die Sache für Sophie ihren Reiz, und sie begann sich zu langweilen. Stundenlang am Webstuhl zu sitzen war für Sophie eine wirkliche Plage. Daher war sie die Erste, wenn es darum ging, andere Aufgaben zu erledigen, wie beispielsweise fertige Seidenballen zu den Stelrevern zu tragen, um sie vermessen und stempeln zu lassen.
    Nachdenklich betrachtete Lisbeth das Mädchen, das, gespannt einer Antwort harrend, vor ihr stand. Sophie war im vergangenen Jahr ein Stück gewachsen und wurde allmählich zur Frau. Ihre Gestalt war weicher geworden, hatte das Fohlenhafte verloren, und unter ihrem Hemd zeichneten sich die ersten Rundungen einer Brust ab.
    »Das ist ein guter Vorschlag«, stimmte Lisbeth schließlich zu, und sogleich breitete sich ein Strahlen über Sophies herzförmiges Gesicht.
    Lisbeth erhob sich von dem Hocker, griff einen Ballen Seide, deren Ränder nicht ordentlich gewebt waren, und reichte ihn der Nichte. »Daraus kannst du die Muster schneiden«, sagte sie und wollte sich eben wieder ihren Aufgaben zuwenden, als Mertyn, noch im schwarzen Mantel der Ratsherren, in die Werkstatt trat.
    »Es ist nicht zu fassen! Meine ach so klugen Kollegen Ratsherren haben die Gesuche der Oberdeutschen Handelsgesellschaften tatsächlich abgelehnt!« Schimpfend machte er seinem Unmut Luft.
    Lisbeth benötigte einen Moment, bis ihr klarwurde, wovon ihr Gemahl sprach. Unter Führung von Anton Welser und Konrad Vöhlin hatten sich die Häupter der großen Handelsgesellschaften – Jacob Fugger, Christoph Herwart, Wilhelm Rehlinger und Georg und Ambrosius Höchstetter aus Augsburg, die Gebrüder Imhof aus Nürnberg und Hans Humpis aus Ravensburg – noch auf der Messe in Frankfurt darauf geeinigt, den ehrbaren Rat der Stadt Köln in eindringlichen Schreiben darum zu bitten, sie nicht nur für wenige Wochen, sondern das ganze Jahr über zum Handel in Köln zuzulassen. Ihre Voreltern hätten schließlich seit Menschengedenken dort gehandelt. Auch die Stadt Augsburg hatte das

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