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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Angebote von Brigitta und Frieda ausgeschlagen. Nicht um alles in der Welt wollte sie für die reichen Seidmacherinnen arbeiten, sich für ihre Arbeit mit einem Almosen abspeisen und von ihnen auch noch von oben herab behandeln lassen.
    Nun jedoch kamen Clairgin Zweifel, dass sie vielleicht zu vorschnell entschieden hatte, und für einen Moment wurde sie in ihrem Entschluss wankend. Anders als die meisten anderen Seidmacherinnen hatte sie keinen Ehemann, der für sie sorgte. Wovon sollten sie und ihre Töchter leben? Sie hatte nichts anderes gelernt als das Seidenweben. All ihre Fähigkeiten, auch, dass sie eine der besten Seidmacherinnen der Stadt war, wären ihr zu nichts mehr nütze.
    Entschlossen richtete Clairgin sich auf und hieb die Faust in die hohle Hand. Nein! Zum Teufel, nein! Ihr Entschluss stand fest. »Hilf mir beim Abscheren!«, wies sie Susanna, ihre ältere Tochter, an.
    Behende griff das Mädchen zur Schere. Sie und ihre jüngere Schwester Maria hatten schon früh gelernt, ihrer Mutter in der Werkstatt zur Hand zu gehen.
    Als sie die letzten Fadenreste vom Kettbaum gepflückt hatten, traten zwei Knechte der van der Sars herein. Abschied nehmend strich Clairgin über den Kettbaum des letzten Webstuhls, der in ihrer Werkstatt verblieben war, dann trat sie beiseite, um den Knechten Platz zu machen.
    Schnell und kundig zerlegten diese den Webstuhl, an dem Clairgin so viele Stunden ihres Lebens verbracht hatte, und zahlten ihr den Kaufpreis, den sie mit Mechthild van der Sar vereinbart hatte, in die Hand. Dann luden sie sich die Holme auf die Schultern und verließen mit ihrer Last die Werkstatt.
    Einen Moment starrte Clairgin auf die Tür, die sich mit einem Klappen hinter ihnen geschlossen hatte, dann band sie sich die Schürze ab und hängte sie an einen Haken. »Fegt noch die Garnreste zusammen, die auf dem Boden liegen«, befahl sie ihren Töchtern und wies in die Ecken des Raumes. »Ich bin bald zurück.«
    Der Weg von Sankt Peter zum Alter Markt zog sich, doch die Bewegung tat Clairgin gut und zauberte eine sanfte Röte auf ihre Wangen. Vor dem Goldenen Krützchen hielt Clairgin inne und schöpfte tief Luft. Dann stieß sie entschlossen die Tür auf.
    »Clairgin van Breitbach! Wie schön, dass Ihr mich besuchen kommt«, begrüßte Rudolf sie. »Wie komme ich zu der seltenen Ehre?«
    Verlegen zwirbelte Clairgin mit den Fingern einen Faden, der sich von ihrem Umhang löste. »Darf ich Euch eine Frage stellen«, bat sie.
    »Nur, wenn ich sie beantworten kann«, sagte Rudolf lächelnd.
    »Braucht Ihr eine tüchtige Schankmagd?«, fragte Clairgin.
     
    Lisbeth strich sich mit der Hand über den Leib, dann nahm sie eine neue Spule zur Hand, wickelte das Fadenende ein Stück weit ab und legte die Spule in das Schiffchen. Sorgfältig verwebte sie das Fadenende am Rand, dann ließ sie das Schiffchen auf der ganzen Länge durch die Kettfäden gleiten. Sie zog die Kammlade an und trat das Pedal. Wieder glitt das Schiffchen durch die gespannten Seidenfäden.
    Nach drei weiteren Reihen arbeiteten Lisbeths Hände wie von selbst, ohne dass sie darauf zu achten hatte, während ihre Gedanken sich dem Problem zuwandten, an dem sie seit Katryns Tod kaute und für das sie bislang keine Lösung gefunden hatte: Wie sollte sie Katryns Letzten Willen erfüllen?
    Das Guthaben beim Fugger, das Mertyns Mutter ihr vermacht hatte, belief sich auf zehntausend Gulden. Davon konnten einige der ärmeren Seidmacherinnen lange leben. Doch es machte wenig Sinn, ihnen einfach das Geld zu geben. Wenn sie es verbraucht hätten, stünden die Frauen genauso arm da wie zuvor.
    Das Klappen der Werkstatttür riss Lisbeth aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf und sah Mertyn eintreten. Aufgeräumt grüßte er die Weberinnen und wechselte einige freundliche Worte mit ihnen.
    Ein Lächeln schlich sich auf Lisbeths Lippen. Mertyn schien seit der Geburt des kleinen Andreas wie verwandelt. Nicht einen Morgen – so er in der Stadt war – hatte er es versäumt, an die geschnitzte Wiege zu treten und seinem Sohn einen guten Morgen zu wünschen. Und mehr als ein Mal hatte Lisbeth ihren Gemahl dabei überrascht, wie er, energischen Schrittes auf und ab gehend, mit dem Jungen ernste Zwiesprache über die Belange seiner Geschäfte gehalten hatte, ganz so, als spräche er mit einem ausgewachsenen Handelsherrn.
    Zu Lisbeths Freude hatte die Zuneigung, die Mertyn seinem Sohn entgegenbrachte, dazu geführt, dass er auch ihr mit größerer Aufmerksamkeit

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