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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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weshalb er nach Köln zurückgekehrt war. Doch sie war viel zu müde, um sich darüber Gedanken zu machen. Pflichtschuldig, bereits im Halbschlaf, sprach sie ihr Nachtgebet, das wie stets damit endete, dass sie den Herrgott um eine sichere Heimkehr für ihre Mutter bat.
     
    Vielleicht waren es Lisbeths Gebete, die dafür gesorgt hatten, dass Fygens Reise bisher ohne unangenehme Zwischenfälle verlaufen war. Von Frankfurt aus war sie gar nicht erst nach Köln zurückgekehrt, sondern in Begleitung des alten Eckert weiter den Rhein hinaufgereist, kaum dass die Fastenmesse nach Ostern ihr Ende gefunden hatte.
    Nie wäre sie auf die Idee gekommen, den mittlerweile betagten Kaufmannsgehilfen mit auf die Reise zu nehmen. Doch da hatte sie die Rechnung ohne den alten Eckert gemacht. Störrisch wie eh, hatte er die Arme vor der Brust verschränkt und das Kinn vorgereckt. Ob sie sich höflich daran erinnern möge, dass der selige Herr Lützenkirchen einmal einen unerfahrenen Reiseknecht nach London mitgenommen hätte, und welch unermesslicher Schaden ihm daraus erwachsen war …
    Fygen hatte sich höflich erinnert. Unermesslicher Schaden traf den Sachverhalt in keiner Weise. Es hatte nicht viel gefehlt, und Peter hätte in einem schrecklichen Verlies im Tower von London sein Leben gelassen.
    In aller Selbstverständlichkeit hatte Eckert in der Folge die Vorbereitungen getroffen, sein Bündel gepackt, und als Fygen sich anschickte, nach Frankfurt zu fahren, hatte er bereitgestanden. Wenn Fygen ehrlich war, so war es ihr ganz recht, den erfahrenen Kaufmannsgehilfen an ihrer Seite zu wissen.
    In Lindau waren sie dann mit Hans Her dem Älteren zusammengetroffen, dem Vater ihres Eidams, der für die Ravensburger englische Wolltuche und Barchent aus Oberdeutschland über die Alpen brachte. Seit Jahren schon stand der stiernackige Mann mit der wettergegerbten Haut in Diensten der Gesellschaft. Er gehöre nicht in eine Schreibstube, hatte er ihr gutmütig grinsend erklärt. Er fühle sich am wohlsten auf der Straße, und so zuverlässig er stets die Waren beförderte, so sicher geleitete er auch Fygen und Eckert immer höher hinauf, mitten hinein in das hohe, ehrfurchtgebietende Gebirge.
    Auf den Spitzen der Gipfel, die ihren Weg säumten, an ihren Nordflanken und in schattigen Tälern lag noch tiefer Schnee, doch der solide gebaute Saumweg war weitgehend schneefrei und durchgängig passierbar. Er hatte an den steilen Stellen Pflästerung und Stufen und führte sie durch eine hügelige Landschaft mit kleinen Mooren hinauf auf die Höhen des Bernhardinpasses.
    Scharen von Vögeln, die auf ihrem Zug nach Norden hier Rast einlegten, begrüßten sie, eine jede nach ihrer Art mit Gesang oder Gekreisch, und Fygen konnte gut verstehen, dass dieser Pass Vogelberg geheißen hatte, bevor man ihm den Namen des heiligen Bernhard gab.
    Als sie das Joch erreicht hatten, zwang ein anhaltendes Unwetter sie, ihre Reise zu unterbrechen und im Hospiz Bernhards auf dem Berg, das Reisenden unentgeltlich Unterkunft bot, für einige Tage Quartier zu nehmen. Sie nutzten die Gelegenheit, sich von den Strapazen der Reise auszuruhen und in der Kapelle, die man zu Ehren des Heiligen errichtet hatte, für ihre sichere Weiterreise zu beten.
    Sankt Bernhard schien ihnen gewogen, denn das Unwetter blieb die einzige Unbill, die sie auf ihrem Weg zu erdulden hatten. Obzwar die heftigen Regenfälle den Boden aufgeweicht hatten, trafen weder Lawinen noch Steinschläge ihren Zug oder verbauten ihnen den Pfad.
    So anstrengend die Reise über die hohen Berge auch war, immer wieder belohnte das Gebirge die Reisenden mit unerwarteten Ausblicken auf schneebedeckte Gipfel, die in der Sonne wie Juwelen glitzerten, streute ihnen farbenprächtige, nie gesehene Blumen auf den Weg, versorgte sie mit frischem Wasser und verwöhnte sie mit köstlichem Fisch aus seinen eisklaren Bächen.
    Endlich hatten sie die schroffen Höhen des Gebirges hinter sich gelassen, und ihr Weg führte sie stetig bergab, den sonnigen Hängen Oberitaliens zu.
    In Chum hätte Fygen gern länger Aufenthalt genommen, um sich die Seidenwirkereien der Stadt anzuschauen, doch das Reisewetter war günstig, und so drängte Hans Her zu ihrem Bedauern auf eine baldige Weiterreise.
    Als sie Mailand erreichten, empfing sie eine frühsommerliche Wärme. Sie hatten es beinahe geschafft. Auf ihrem Weg nach Genua hatten sie nur noch die – verglichen mit den Alpen – niedrigen Ausläufer des Ligurischen Apennin zu

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