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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Doch dieser Reisende überragte den Kapitän der Karavelle, die Männer der Besatzung und die Hafenarbeiter fast um Haupteslänge.
    Kurz traf sie ein Blick aus azurnen Augen, und Fygen senkte rasch den Kopf. Augen wie diese hatten von jeher vermocht, sie zu verwirren.
    Sicheren Schrittes strebte der Mann dem Achterkastell zu, und Fygen musterte ihn verstohlen unter halb gesenkten Augenlidern hervor. Er mochte ein paar Jahre älter sein als sie, vielleicht vier oder fünf, denn sein nachtschwarzes, ordentlich frisiertes Haar war an den Schläfen bereits von silbernen Strähnen durchwoben. Obschon es ein warmer Tag zu werden versprach, trug er einen schweren Reiseumhang um die Schultern, sichtlich aus gutem Tuch gefertigt.
    Für einen Moment vermeinte Fygen etwas in seinen sonnengebräunten Zügen zu erblicken, das ihr seltsam vertraut war, obwohl sie sicher war, dem Mann nie zuvor begegnet zu sein. Dann hatte der Reisende das Achterkastell erreicht und verschwand im Aufgang zu den Kajüten.
    Plötzlich erfasste hastige Betriebsamkeit die Männer der Besatzung. Die letzten Frachtstücke wurden festgezurrt und die Segel gesetzt. Die Schauerleute verließen das Schiff, und gerade, als man die Ladeplanken auf den Kai stoßen wollte, eilten zwei späte Passagiere herbei: ein feister, rotgesichtiger Kerl in beflecktem Wams und eine magere junge Frau. Sie war fast noch ein Kind, doch bereits in gesegneten Umständen. Unordentlich lugten ihr die Haare unter der Haube hervor, und ihr linkes Auge war wie von einem Schlag blau unterlaufen.
    Fygen beobachtete, wie der Kapitän auf die beiden zutrat, die Arme gewichtig in die Hüften gestützt. Ein paar Münzen wechselten verstohlen den Besitzer. Der Kapitän wies mit ausgestrecktem Arm auf das Ruderhaus, und die beiden Gestalten schlichen mit ihren Bündeln in die angegebene Richtung davon.
    Langsam, und zunächst nur mit geringer Segelfläche, setzte sich die Karavelle in Bewegung. Als sie jedoch das schützende Hafenbecken verlassen hatte, setzte man weitere Segel, und begleitet vom Schreien der Möwen, nahm das Schiff Fahrt auf.
    Rasch wurden die Menschen auf den Kais kleiner, verschmolzen mit den Häusern, und kurz darauf hatten auch diese sich mit den bewaldeten Hügeln zu einer blaugrünen Silhouette gefügt. Die Wogen rollten stärker, jetzt, da sie das offene Meer erreicht hatten, und der Wind nahm zu.
    Eine geraume Weile stand Fygen da, genoss das Auf und Ab des Schiffes und den frischen Wind auf der Haut. Doch als sie schließlich ihren Blick von der Küstenlinie abwandte, musste sie feststellen, dass sich am Horizont bleifarbene Wolken zusammenballten. Unwillkürlich krampften sich ihre Finger um das vom Salzwasser ausgelaugte Holz der Reling. Nur zu gut erinnerte sie sich an ihre beiden früheren Seereisen, und sie hoffte inständig, diesmal von der Seekrankheit verschont zu bleiben.
    Nicht ohne Grund hatte sie die weitaus anstrengendere Route mit dem Wagen über die Alpen gewählt, anstatt von Köln aus den Rhein hinab nach Antwerpen und dann weiter mit einer Nau um Portugal herum über San Lucar nach Valencia zu reisen. Sie wollte das Atlantische Meer mit seinen rauhen und unberechenbaren Wettern meiden und hatte stattdessen die Schlaglöcher und den Staub der Straßen in Kauf genommen. Doch nun musste sie feststellen, dass auch dieses wunderschöne Meer seine Tücken hatte.
    Fygen spürte, wie ein leichtes Unwohlsein von ihr Besitz ergriff, und um sich abzulenken, richtete sie ihren Blick auf das verluderte Paar, das sich mit seinen schmuddeligen Bündeln mittschiffs in der Nähe des Ruderhauses auf den Planken niedergelassen hatte.
    Eben trat ein bulliger Matrose zu den beiden und sprach sie an. Mit ausgestreckter Hand wies er dabei auf die Frau, die vehement den Kopf schüttelte. Zornig blies der Rotgesichtige die Backen auf und brüllte die Frau an. Was er ihr allerdings vorwarf, konnte Fygen nicht verstehen, denn er wechselte in rascher Folge vom Deutschen in eine Sprache, von der Fygen annahm, dass sie in südlichen Ländern gesprochen wurde, vielleicht sogar dort, wohin sie reisten.
    In schrillem Ton keifte die Frau zurück und stemmte die Arme in die Hüften.
    Der Rotgesichtige reckte sich, holte unvermittelt aus und schlug der Frau mit dem Handrücken ins Gesicht. Die Wucht des Schlages warf sie auf die Planken, wo sie sich zusammenkrümmte und kläglich greinend liegen blieb.
    Ohne aufzustehen, streckte der Rotgesichtige dem Matrosen die Hand hin, und

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