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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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abermals wechselte ein Geldstück den Besitzer. Dann packte der Seemann die Frau am Arm, zerrte sie auf die Beine und verschwand mit ihr hinter dem Ruderhaus, während der Rotgesichtige seinem Bündel einen Krug entnahm, sich lang ausstreckte und, auf seinen Ellbogen gestützt, daraus trank.
    »Pack schlägt sich – Pack verträgt sich!«, murmelte Eckert.
    Fygen wandte den Blick ab. Diese Szene war eher dazu angetan, die Übelkeit zu verstärken, die in ihr aufstieg, als sie zu zerstreuen. Vielleicht sollte sie sich doch besser in ihre Kabine begeben? Nur ungern würde sie sich die Blöße geben, sich vor den Augen der Mannschaft über die Reling hinweg erleichtern zu müssen. Fygen seufzte ergeben. So würde sie abermals eine Seefahrt damit verbringen, einen Spuckeimer im Arm zu halten.
    Als sie dem Achterkastell zuschritt, kam ihr der hochgewachsene Reisende mit den blauen Augen entgegen, den Mantel immer noch lose um die Schultern gelegt. Darunter trug er ein nachtblaues Wams über einem sauberen weißen Hemd. Unter seinen enganliegenden Beinlingen zeichneten sich sehnig die Stränge seiner Muskeln ab und verschwanden im ledernen Schaft seiner hohen Stiefel.
    »Martinez de la Vega«, sagte er mit angedeuteter Verbeugung.
    »Das kann ja kein Mensch aussprechen«, murmelte Fygen leise für sich, in der Annahme, de la Vega sei ihrer Sprache unkundig. Doch zu ihrer Überraschung zog jener eine Augenbraue abschätzend hoch, als hätte er ihre Worte verstanden.
    »Fygen Lü…, Fygen van Bellinghoven«, stellte Fygen sich ihrerseits vor. Ein seltsames Gefühl, nach so vielen Jahren, in denen sie Peters Namen getragen hatte, nun ihren Mädchennamen zu nennen. Es mochte wohl seinen Sinn haben, doch es fühlte sich an wie ein kleiner Verrat.
    De la Vega nickte. »Ihr reist zu Eurem Gatten, Senyora?« Er sprach die deutsche Sprache mit einem wohlklingenden Akzent, der die Worte mit hartem Laut beginnen, jedoch weich enden ließ, und Fygen errötete.
    »Nein. Ich bin in Geschäften unterwegs«, entgegnete sie. Nie hätte sie es zugeben mögen, doch sie genoss den Nachhall dieser Worte. In Geschäften unterwegs …
    De la Vega zog die zweite Augenbraue hoch. »In Geschäften!« Trotz des Akzents war die Herablassung in seinem Ton deutlich zu vernehmen. Seine Miene ließ jedoch nicht erkennen, ob seine Missbilligung ihrer Tätigkeit galt, oder ob er Fygens Behauptung schlicht für aus der Luft gegriffen hielt. In jedem Fall geruhte er nicht weiter auf ihre Entgegnung einzugehen. »Ihr solltet unter Deck gehen. Es kann ungemütlich werden hier draußen«, riet er.
    Was für ein arroganter Kerl, dachte Fygen. Doch wen nahm es wunder? Der Spanier war nicht der Einzige, der sich ob ihrer Idee, auf Reisen zu gehen, irritiert gezeigt hatte.
    Fygen musste schmunzeln, wenn sie sich daran erinnerte, wie die Familie auf ihre Entscheidung reagiert hatte. Wie sogar Katryn versucht hatte, ihr die Sache auszureden. Es war ungewöhnlich für eine Frau, eine solch weite Reise zu unternehmen, ja. Aber was war überhaupt gewöhnlich in ihrem Leben? Ihr Beruf als Faktor sicher auch nicht.
    Einzig Lisbeth hatte die Neuigkeit mit einem schalkhaften Zwinkern quittiert. Sie hatte verstehen können, dass es Fygen wichtig war, den Dingen in Valencia auf den Grund zu gehen. Doch das war es nicht allein. Ihre Jüngste kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es nicht minder die Lust am Abenteuer war, welche die Mutter reizte. Jene Lust, die sie ihrem Mann insgeheim stets vorgeworfen hatte, wenn er sein Leben auf seinen Handelsreisen aufs Spiel gesetzt hatte.
    »Ihr entschuldigt mich?« Mit knapp bemessenem Nicken, das seinem Hochmut in nichts nachstand, wandte sie sich ab und schritt mit gerafften Röcken an de la Vega vorbei, dem Achterkastell zu.
    In dem Moment erfasste eine besonders heftige Böe das Schiff, und die Krängung ließ Fygen straucheln. Breitbeinig musste sie Halt auf den Planken suchen, was ihren würdevollen Abgang deutlich beeinträchtigte.
    »Senyora!« Abermals deutete de la Vega eine Verbeugung an. Nur mit Mühe unterdrückte er ein breites Grinsen.

3 .  Kapitel
    E s gibt keine Rohseide«, beschied man Clairgin an der städtischen Kraut- und Seidwaage im Kaufhaus auf dem Malzbüchel.
    Verständnislos schüttelte die junge Seidmacherin den Kopf. Das konnte doch gar nicht sein! So kurz nach der Messe mussten die Lager doch bersten vor Rohseide. »Wie meint Ihr das? Keine Seide?«, fragte sie den Gehilfen des städtischen

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