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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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hätte sie Lisbeths Worte vernommen, trat in dem Moment eine junge Frau aus der Küche. Sie trug ein schlichtes graues Kleid mit Schürze und hatte ihr Haar mit einem einfachen Tuch bedeckt. In den Händen hielt sie eine Platte mit gebratenen Würsten.
    Vor Erstaunen wurden Lisbeth die Augen rund, als sie die Frau erkannte. Rudolfs Gemahlin war niemand anders als ihre einstige Freundin – Clairgin van Breitbach.
    Lisbeth sprang von ihrer Bank auf. »Clairgin, wie mich das freut! Meinen Glückwunsch!«, rief sie und eilte mit ausgestreckten Armen auf Clairgin zu.
    Clairgin wandte den Kopf. Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, und sie wich überrascht zurück. Betroffen hielt Lisbeth inne und ließ die Arme sinken.
    Doch dann klärten sich Clairgins Züge, und sie schenkte Lisbeth ein unsicheres Lächeln. »Danke«, sagte sie und zögerte einen Moment lang, als wolle sie noch etwas hinzufügen, doch dann entschied sie sich dagegen.
    Rudolf trat neben seine Gemahlin und legte ihr den Arm um die Schultern. Clairgin schaute zu ihm auf, und die beiden wechselten einen Blick, der Lisbeth verriet, dass ihre Ehe nicht nur zweckdienlich war. Clairgin schien ihren Mann aufrichtig zu lieben, und Lisbeth konnte sich nicht erinnern, dass Rudolf eines seiner Schankmädchen mit solcher Zärtlichkeit angesehen hätte. Die einzige Frau, die Rudolf so angeschaut hatte, war Fygen gewesen, ihre Mutter.
    Clairgin löste sich aus der Umarmung ihres Mannes. »Wenn ihr mich entschuldigt? Ich habe zu tun«, sagte sie und stellte die Platte mit den Würsten auf dem Schanktisch ab. Noch einmal lächelte sie Lisbeth an, dann verschwand sie wieder in der Küche.
    Mit gemischten Gefühlen blickte Lisbeth ihr nach. Es freute sie für Rudolf und Clairgin, dass sie zueinandergefunden hatten. Doch es erfüllte sie zugleich auch mit Traurigkeit. Zum einen, weil ihr Rudolfs fröhliche Art fehlen würde, da kaum zu erwarten stand, dass sie ihre ungezwungene Kameradschaft weiterhin würden pflegen können. Denn zwischen ihr und Clairgin würde wohl nie mehr eine enge Freundschaft, wie sie einst bestanden hatte, entstehen. Doch immerhin schien Clairgin ihr nicht länger gram zu sein.
    Zum anderen betrübte Lisbeth der Gedanke, dass Clairgin nun im Krützchen einer Arbeit nachging, die eine Magd genauso gut verrichten konnte. Welch eine Verschwendung, dachte sie bekümmert. Clairgin war mit Leib und Seele Seidmacherin gewesen, eine der Besten ihrer Zunft.
    »Es tut mir leid«, sagte Rudolf leise.
    »Ist schon gut«, antwortete Lisbeth und griff nach ihrem Umhang. »Ein gesegnetes Weihnachtsfest – für euch beide«, wünschte sie und trat auf den Alter Markt hinaus.
     
    Dicke Schneeflocken taumelten aus dem Nachthimmel, überzuckerten die Dächer der Häuser und Türme und legten sich wie schmückende Steine auf Mäntel und Hüte, als Lisbeth mit Mertyn und den Kindern in der Heiligen Nacht zur Christmette in die Pfarrkirche Sankt Brigida ging. Ein weißer Teppich aus Schnee dämpfte ihre Schritte, und er schien auch alle anderen Geräusche in sich aufzusaugen und eine ungewöhnliche Stille zurückzulassen.
    Das Gotteshaus empfing sie in festlichem Schmuck. Dicke Altarkerzen brannten, der schwere Duft von Weihrauch füllte die Luft, und unzählige Kerzen tauchten die versammelte Gemeinde in heimeliges Licht. Es war wie an jedem Heiligen Abend. Und doch kam es Lisbeth vor, als laste unter dem hohen Dach des Gotteshauses eine Spannung, die jeden, groß oder klein, ergriffen zu haben schien.
    Wo in den vergangenen Jahren nur fromme Andacht geherrscht hatte, wenn der Pfarrer in feierlicher Prozession das Jesuskindlein durch die Kirche trug, raschelten heute Kleider, scharrten Füße, und weit häufiger als gewohnt durchschnitt das Weinen eines Kindes die ehrfürchtige Stille.
    Etwas Drohendes schien über der Stadt zu schweben, dachte Lisbeth unbehaglich, während die Gemeinde »In dulci jubilo, nun singet und seid froh« anstimmte. Vielleicht hing es mit den Steinmetzen zusammen? Oder waren das alles nur Hirngespinste, ausgelöst durch Rudolfs düstere Prophezeiungen?
    Der Pfarrer hatte indes das Kindlein in die Wiege auf dem Altar gelegt, und zwei junge Messdiener schaukelten die Wiege mit der Puppe, die das Jesuskindlein darstellte. Doch auch sie schienen nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache zu sein. Einer von ihnen mochte es wohl mit dem Wiegen zu gut gemeint haben, denn mit einem Mal rutschte die Wiege vom Altar und schlug mit lautem Krachen auf

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