Die Tochter der Seidenweberin
hat? Wenn wir uns nicht in Nachgiebigkeit üben und die Gefangenen ausliefern, hauen sie uns in Stücke!«, brüllte er, um daraufhin dem Anführer der Bewaffneten zu versichern: »Eure Amtsbrüder werden sofort freigelassen, und auch die Geflohenen dürfen zurückkehren, sie werden nicht weiter behelligt. Und was Eure Forderungen hinsichtlich der Bestrafung derer, die die Kirchenhoheit verletzt haben, anbetrifft, so werden wir uns der Sache annehmen und die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.«
»Das könnt Ihr nicht tun!«, protestierte der Fuchs.
Doch mit einem eisigen Blick hieß der Rentmeister ihn schweigen. »Das können und das werden wir!«
Den Zünften wäre dieses Zeichen des Entgegenkommens seitens des Rates vielleicht genug gewesen, doch der gemeine Pöbel, der sich dem Aufstand angeschlossen hatte, ließ sich davon nicht beruhigen. Er forderte blutige Beweise seines Sieges, und so hielt zum Schrecken der Bürgerschaft das Toben in den Straßen an.
Manch einer, der bei einem Ausbruch des Volksmutes wenig Gnade zu erwarten hatte, versuchte aus der Stadt zu fliehen, und so rollte im Schutz der Dunkelheit auch vom Hof des Hauses Xanten ein leichter Wagen. Vor dem Tor im Bayenturm kam er zum Stehen.
»Heda, Wächter! Öffnet das Tor für uns!«, befahl Brigitta van Berchem dem Mann, der ihr mit erhobenem Spieß den Weg verstellte. Er trug nicht die Uniform des städtischen Bediensteten.
»Hier darf niemand durch!«, gab der Wächter schroff zurück.
»Bursche, wer glaubst du, wen du vor dir hast?«, herrschte Brigitta ihn an. »Öffne sofort das Tor!«
»Einen Dreck werde ich!«, gab der Mann zurück und trat drohend an den Karren.
»Welchen Ton erlaubst du Lump dir! Ich befehle dir: Öffne das Tor!«, giftete Brigitta und ließ ihre Pferdegerte herrisch durch die Luft pfeifen.
»Den Ton, der mir passt!«, brüllte der Wärter. Mit einer einzigen Bewegung entriss er Brigitta die Gerte und versetzte ihr damit einen Streich quer über das Gesicht.
Brigitta schrie vor Schmerz und presste die Hand auf die Wange. Dort, wo die Gerte sie getroffen hatte, quoll Blut zwischen ihren Fingern hervor. »Ich werde dich in den Turm bringen lassen!«, zeterte sie, lodernd vor Wut. »Mein Onkel …«
»Halt den Mund! Halt nur ein einziges Mal den Mund!«, zischte Gunda ihre Schwester an.
Völlig überrascht klappte diese den Mund zu. So hatte Gunda noch nie gewagt, mit ihr zu sprechen. Ihr ganzes Leben lang nicht.
Gunda wandte sich an den Wächter und flehte mit weinerlicher Stimme: »Habt Mitleid, hoher Herr. Sie weiß nicht, was sie spricht.«
Der Wächter, etwas besänftigt durch die Höflichkeit, mit der Gunda ihn, den einfachen Handwerksburschen, als hohen Herrn angesprochen hatte, ließ die Gerte sinken.
»Wir sind zwei arme Witwen«, fuhr Gunda hastig fort. »Wir wohnten neben einem dieser verfluchten Ratsherren, und die ehrenwerten Zunftgenossen haben sich wohl in der Tür geirrt. Sie sind gestern in unser Haus eingedrungen und haben es verwüstet. Meine Schwester hier hat dabei einen Schlag auf den Kopf bekommen, und seitdem redet sie wirr …«
Gunda konnte im Dunkel nicht erkennen, ob der Wachmann ihrer herzzerreißenden Geschichte Glauben schenkte, doch immerhin wurde er nicht wieder handgreiflich.
»Wir besitzen nur noch unser Leben und das, was wir auf dem Leib tragen«, fuhr sie fort zu jammern und hoffte, dass er ihre Worte nicht allzu genau überprüfen würde, denn unter den Röcken hatten sie und Brigitta sich lederne Gürtel an den Leib gebunden, die bis an den Rand gefüllt waren mit Goldgulden.
»Unsere Bleibe ist zerstört«, appellierte sie an das Mitgefühl des Mannes. »Deshalb fahren wir nach Endenich zu unserem Bruder. Er ist ein geiziger Mann, und wir wissen nicht, ob er uns Zuflucht gewährt, aber er ist unsere einzige Hoffnung.«
Auch das war gelogen, dachte Brigitta und befühlte ihr brennendes Gesicht. Es gab keinen geizigen Bruder. Das Gut in Endenich bei Bonn gehörte ihnen selbst und darüber hinaus ein Hof in Kesternich bei Nievenheim.
Brigitta betrachtete ihre Schwester mit neu erwachtem Respekt. Gunda hatte viel von ihr gelernt.
Vielleicht dauerte den Wächter ihr elendes Schicksal, vielleicht hatten Gundas Worte, mit denen sie geschickt den Aufständischen die Schuld an ihrer Misere gab, ohne diese anzuprangern, an sein schlechtes Gewissen gerührt. Doch was auch immer der Grund dafür war: Der Wachmann trat beiseite, ließ einen Pfiff ertönen, und mit zäher
Weitere Kostenlose Bücher