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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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ohne ein zweites Mal behelligt zu werden, erreichte Mertyn das Haus Zur Roten Tür. »Such das Geld und all deinen Schmuck zusammen«, befahl er Lisbeth, die ihn erleichtert in die Arme schloss. »Eil dich und verpacke alles, was von Wert ist!«
    Lisbeth wollte nach den Mägden rufen, damit diese ihr zur Hand gingen, doch Mertyn hielt sie zurück. »Du packst allein. Das Gesinde braucht nicht zu wissen, wo wir unsere Wertsachen verbergen.«
    Sicherheitshalber rief er Mathias, seinen Knecht, die Köchin und die beiden Mägde zusammen und gebot ihnen, die Küche nicht zu verlassen, bis er sie rufe.
    Hastig kam Lisbeth Mertyns Anweisungen nach. Sie verpackte die silbernen Becher und das Zinngeschirr in eine Truhe und schlug die kostbaren Gläser in dicke Lagen aus Tuch. Dann lief sie in ihre Kammer hinauf und holte das hölzerne Kästchen hervor, in dem sie ihren Schmuck verwahrte.
    Als sie alles beisammenhatten, auch die Geldtruhe aus dem Kontor und die Schatulle aus ihrer Schreibstube, bestimmte Mertyn: »Wir schaffen alles in die Werkstatt.«
    »In die Werkstatt? Wo willst du es denn da verbergen? Da sind weder Kasten noch Truhe. Meinst du, da ist es sicher genug?«, fragte Lisbeth zweifelnd.
    »Ja, das ist es«, widersprach Mertyn und lud sich die erste Kiste auf die Schulter.
    Lisbeth ergriff vorsichtig den Korb mit den Gläsern und folgte ihm auf den Hof hinaus.
    Nachdem er die Werkstatttür gewissenhaft hinter ihnen geschlossen hatte, setzte Mertyn die Kiste auf dem Boden ab und trat zu einem Regal, das an der rückwärtigen Wand lehnte. Hastig räumte er die Ballen mit Rohseide von den Brettern und stapelte sie auf dem Boden auf. Dann packte er das Regal mit beiden Händen, zog es von der Wand und machte sich daran, die hölzernen Dielen vom Boden hochzuheben.
    Zu Lisbeths Erstaunen kamen darunter Stufen zum Vorschein. Sie führten in einen Kellerraum hinab, den man unter dem Boden der Werkstatt ins Erdreich gegraben hatte, groß genug, dass sie ihre wertvollen Sachen darin verbergen konnten.
    »Woher weißt du von diesem Versteck?«, fragte Lisbeth. Sie arbeitete seit so vielen Jahren in dieser Werkstatt, doch von der Existenz dieses Kellers hatte sie nichts gewusst.
    »Du vergisst, dass ich in diesem Haus aufgewachsen bin«, erwiderte Mertyn lächelnd. Doch es war ein angespanntes Lächeln.
    Eilig schafften sie die Kisten und Körbe in den Keller, und als Mertyn die Dielen wieder an Ort und Stelle gelegt und das Regal darübergestellt hatte, konnte niemand mehr erahnen, dass sich hier ein Keller befand. Der Eingang wurde vollständig vom unteren Regalboden verdeckt. Lisbeth räumte die Rohseide wieder in das Regal und schob noch einen Korb mit leeren Spulen davor.
    Ins Haus zurückgekehrt, befahl Mertyn ihr: »Jetzt geh und hol die Kinder. Zieh ihnen etwas Warmes an. Wir gehen in die Wolkenburg.«
    Lisbeth erschrak. Auf den Straßen tobte der Pöbel schlimmer als zuvor. Doch Mertyn mochte recht haben, dachte sie. Die Wolkenburg war ein trutziges Gemäuer und hatte ein starkes Tor. Dort wären sie sicherer als hier – wenn sie es denn heil bis dorthin schafften.
    Bevor sie gingen, rief Mertyn Mathias zu sich. »Wenn es dunkel wird, hängst du eine Laterne vor das Tor, so wie es befohlen ist«, wies er ihn an. »Sollten sie das Tor aufbrechen, so verbergt euch auf dem Dachboden. Sie sind nur auf Raub aus. Lasst sie nehmen, was sie wollen, und setzt euch nicht zur Wehr. Hier ist nichts von Wert zu holen. Ich habe bereits vor Tagen alles fortgeschafft.«
    Es begann schon zu dämmern, als Mertyn sich seinen älteren Sohn auf die Schultern hob und mit Lisbeth, die den kleinen Peter in den Armen trug, in die Obermarspforte trat. Sie waren nicht die Einzigen, die danach trachteten, sich in Sicherheit zu bringen. Viele hatten ihre Wertsachen, Kleinodien und Kostbarkeiten versteckt oder vergraben und begaben sich selbst zum Schutz in Kirchen und Klöster, wo sie hofften, vor den befürchteten Ausschreitungen sicher zu sein.
    Beinahe schon hatten Mertyn und Lisbeth die Wolkenburg erreicht, als man ihnen an der Ecke zu Sankt Cäcilien den Weg vertrat.
    »Was schafft ihr davon?«, fragte ein schmaler, sehniger Kerl mit verschlagenem Grinsen.
    »Nichts. Wir haben nichts bei uns als die Kleidung, die wir auf dem Leib tragen«, antwortete Mertyn wahrheitsgemäß.
    »Kein Geld, das du unter dem Wams verbirgst?«, fragte der Verschlagene höhnisch und riss Mertyns Mantel grob auseinander.
    Der kleine Andreas schrie vor

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