Die Tochter der Seidenweberin
und ihre unverheiratete Schwester Gunda van Berchem führten ihre Weberei gemeinsam.
Eine junge Magd öffnete Lisbeth die Tür, bat sie ins Haus und hieß sie, vor dem Kontor zu warten. Die Herrinnen würden sie gleich empfangen. Die Magd knickste und ließ sie allein. Ein wenig verloren trat Lisbeth in dem zugigen Flur von einem Fuß auf den anderen.
»Das ist eine wahre Schlamperei!« Sie vernahm die empörten Worte durch die geschlossene Tür des Kontors hindurch – unverkennbar die schnarrende Stimme Brigitta van Berchems.
»Eine Schlamperei!«, erklangen als etwas leiseres, aber dennoch gut verständliches Echo die Worte ihrer Schwester.
Lisbeth wusste, es gehörte sich ganz und gar nicht, zu lauschen, doch bei der Lautstärke, in der das Gespräch geführt wurde, konnte sie gar nicht vermeiden, zum heimlichen Zuhörer zu werden.
»Wenn du dir nicht mehr Mühe gibst, dann weiß ich nicht, ob ich dir noch einmal Seide zum Weben geben kann. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.« Das war wieder Brigitta.
»Einen guten Ruf!«, echote Gunda.
Auweia! Da wurde einer Seidmacherin gerade gründlich der Kopf gewaschen, dachte Lisbeth. Wohl einer, die für die van Berchems um Lohn webte.
Die zerknirschte Antwort der gescholtenen Seidenweberin drang nur leise durch die Füllung der Tür: »Ja, Frau van Berchem. Ich werde mir Mühe geben.«
Lisbeth überlegte, wer die Gescholtene sein könnte, doch sie vermochte es nicht, der Stimme ein Gesicht zuzuordnen.
»Das will ich meinen!« Brigitta klang nur um weniges besänftigt. Diesmal blieb das Echo aus, doch Lisbeth war sicher, dass Gunda zumindest bekräftigend mit dem Kopf nickte.
Sie überlegte gerade, ob es nicht geraten wäre, mit ihrem Anliegen an einem anderen Tag wiederzukommen, wenn die Berchems besserer Stimmung wären, als das Gekeife abrupt endete und sich die Tür öffnete. Ertappt wich Lisbeth zurück und starrte überrascht in das verkniffene Gesicht von Grete Elner.
Beinahe hätte sie die schwerfällige Seidmacherin nicht erkannt. Die Base ihrer Mutter war zwar immer noch beleibt, aber das Fleisch hing lose an ihr, und sie war längst nicht mehr so massig, wie Lisbeth sie in Erinnerung hatte. Gretes Gesicht war faltig, und unter dem Kinn hingen weiche Hautlappen, die ehedem von Fett gepolstert waren.
Lisbeth hatte wohl gehört, dass Gretes Mutter, die alte Mettel, sich aus dem Geschäft zurückgezogen habe und seitdem nur noch an Gretes Tisch säße und sich von ihrer Tochter rund füttern ließe. Doch dass Grete mit der Weberei nicht mehr genug verdiente, sondern für die van Berchems im Verlag weben musste, war ihr neu.
Recht geschah es ihr, dachte Lisbeth. Die Base ihrer Mutter war ein mieses Weib. Aus reiner Missgunst und Bosheit hatte sie ehedem dem Seidamt verraten, dass Fygen nicht von ehelicher Geburt war. Um dem Ausschluss aus der Zunft vorwegzukommen, hatte Fygen daraufhin ihren Betrieb Lisbeth übergeben, doch es hatte ihr schier das Herz gebrochen, alles, was sie in jahrelanger Mühe und mit Liebe aufgebaut hatte, aufzugeben.
Grete hatte sofort erkannt, dass Lisbeth die demütigende Schelte, die sie erhalten hatte, mitbekommen hatte. Wütend presste sie die schmalen Lippen zusammen und bedachte die junge Seidmacherin mit einem giftigen Blick aus wässrig blauen Augen.
»Lisbeth Ime Hofe – wie nett, dass Ihr uns besuchen kommt, mein Kind!«, schnarrte Brigitta, kaum dass sie Lisbeth durch die geöffnete Tür entdeckt hatte.
Ob der plötzlichen Liebenswürdigkeit ihrer Arbeitgeberin entfuhr Grete ein grimmiges Schnauben. Ohne ein Wort rauschte sie an Lisbeth vorbei dem Portal zu.
Lisbeth trat in den Raum. »Guten Morgen, Frau van Berchem. Frau van Berchem«, begrüßte sie die Schwestern mit dem gebotenen Respekt.
»Was führt Euch zu uns?«, fragte Brigitta und nötigte Lisbeth auf einen Stuhl mit hoher Lehne.
»Die Mutter meines Mannes …«
»Katryn Zur Roten Tür«, unterbrach Brigitta sie, »will sich zur Ruhe setzen. Das haben wir schon gehört.«
»Und Ihr führt Katryns Weberei fort«, fügte Gunda hinzu.
Lisbeth nickte. »Ja, aber was mache ich mit den Lehrmädchen? Es sind mit einem Mal acht statt vier. Ich kann sie doch nicht auf die Straße setzen.«
Einmütig nickten die Berchem-Schwestern und legten die schmalen Stirnen mitfühlend in Falten.
»Natürlich könnt Ihr das nicht. Die armen Dinger. Wo sollen sie denn sonst hin? Behaltet sie einfach«, entschied Brigitta. »Bei einem so großen Betrieb
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