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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Zinsmeisters entgeistert.
    »Genau so, wie ich es sage – keine Seide, alles verkauft. Kann ich Euch noch in anderer Weise behilflich sein, sonst entschuldigt mich.« Der Tonfall des jungen Mannes ließ Ungeduld erkennen.
    Keine Rohseide! Als hätte man ihr auf den Kopf geschlagen, stand Clairgin da, die Handflächen zur Decke gerichtet. Was sollte sie denn verweben, fragte sie sich. Ihre Garnvorräte neigten sich dem Ende zu.
    Clairgins Ratlosigkeit schien dem schnoddrigen Gehilfen eine Spur von Mitgefühl zu entlocken, und bereits im Fortgehen fügte er hinzu: »Ich hab reden hören, Heinrich Vurberg erwartet in Bälde eine Lieferung.«
    Grübelnd verließ Clairgin das Kaufhaus. Die Frühlingssonne wärmte ihr das Gesicht, als sie auf die Straße trat, und für einen Moment blieb sie unschlüssig stehen. Seit eh und je pflegte sie ihren Bedarf an Rohware an der Kraut- und Eisenwaage zu decken, und nicht, wie einige andere Seidmacherinnen es taten, in Frankfurt Rohseide zu kaufen und selbst nach Köln einzuführen. Das Importieren lohnte sich nicht für die verhältnismäßig geringen Mengen, die sie und ihre Lehrmädchen verarbeiteten. Nie wäre Clairgin auf die Idee gekommen, dass es im Kaufhaus plötzlich keine Seide geben könnte. Kurzerhand beschloss sie, auf dem Heimweg einen kleinen Umweg zu machen.
    »Ach du liebe Zeit! Hier sieht es ja aus, als wären die Truppen Karls des Kühnen doch bis Köln vorgedrungen!«, sagte Clairgin, als sie wenig später in Lisbeths Werkstatt trat.
    Im Haus der Freundin in Sankt Alban herrschte rege Betriebsamkeit. Behende wich Clairgin einem kräftigen Lehrmädchen aus, das mit einem Stapel Kammladen auf den ausgestreckten Armen seinen Weg zwischen den Kisten und Bündeln hindurch zum Karren im Hof suchte. An den getünchten Wänden lehnten in scheinbarer Unordnung hölzerne Balken und Leisten – die in ihre Einzelteile zerlegten Webstühle.
    Lisbeth ließ den Korb mit Weberschiffchen zu Boden gleiten und strich sich den Schweiß aus dem geröteten Gesicht. »Ja, es ist ein heilloses Durcheinander. Doch ich hoffe, dass wir den Umzug in ein paar Tagen geschafft haben.«
    Man war übereingekommen, dass sie und Mertyn zu Katryn in die Obermarspforte ziehen sollten, ins Haus Zur Roten Tür, denn die großzügigen Werkstattgebäude im Hof würden die zusätzlichen Webstühle von Lisbeth ohne weiteres aufnehmen können. Seit Stephan in die Wolkenburg gezogen war, fühlte Katryn sich ohnehin recht allein in dem riesigen Haus.
    Clairgin nickte mitfühlend, doch dann platzte es aus ihr heraus: »Stell dir vor, an der Waage gibt es keine Rohseide!« In kurzen Worten berichtete sie Lisbeth, was ihr gerade widerfahren war.
    »Wie angenehm«, witzelte Lisbeth zerstreut und schenkte der Freundin ein spitzbübisches Lächeln. »Dann kannst du dir ja ein paar ruhige Tage machen.«
    Die steile Falte über Clairgins Nasenwurzel vertiefte sich für einen Moment, dann lachte sie mit Lisbeth, doch die Bemerkung der Freundin war nicht dazu angetan, das ungute Gefühl zu vertreiben, das von Clairgin Besitz ergriffen hatte.
    Lisbeth entging die Sorge der Freundin. So vieles schwirrte ihr durch den Kopf, so viele Dinge, an die sie denken musste. Es war ja nicht nur die Werkstatt, sondern auch der gesamte Hausstand umzusiedeln. Und was würde aus den Lehrmädchen? Wenn sie Katryns Betrieb fortführte, dann hätte sie auf einen Schlag acht statt der gestatteten vier Lehrtöchter. Aber sie konnte doch keines der Mädchen einfach auf die Straße setzen!
    Abwesend hob Lisbeth den Korb vom Boden auf und erwiderte Clairgins Gruß, mit dem die Freundin sich verabschiedete, um sie ihren Kisten und Bündeln zu überlassen. Sie würde zu Brigitta van Berchem gehen, der amtierenden Amtsmeisterin, beschloss sie. Vielleicht könnte man eine Ausnahme machen, nur für die Zeit, bis die Mädchen ihre Prüfung abgelegt hätten?
    Lisbeth stellte den Korb wieder ab. Am besten, sie ginge jetzt gleich. Das war wichtiger, als Kisten zu schleppen. Das konnten die Mädchen auch allein, dabei brauchte sie ihnen nicht zu helfen.
    Vor dem Haus Zum Kleinen Schönwetter blockierte ein Fuhrwerk die Straße. Einen nach dem anderen luden Knechte Ballen von Rohseide ab, trugen sie durch das weit geöffnete Tor und schafften sie in einen Lagerschuppen neben der van Berchemschen Werkstatt.
    Lisbeth klopfte an die Tür des benachbarten Haus Xanten. Hier war das Kontor der Geschwister van Berchem untergebracht. Die verwitwete Brigitta

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