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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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viele Menschen mochten hier leben, und so dauerte es geraume Zeit, bis sie die Stadt endlich hinter sich gelassen hatten. Fruchtbares Land breitete sich vor ihnen aus und umschloss die Stadt wie die liebenden Arme einer Mutter, die nährte.
    »Die Huerta«, erklärte de la Vega, »der Gemüsegarten Valencias.«
    Ein warmer Wind wehte den Duft von Orangen herbei, und Fygen sog die frische Luft tief ein – eine wahre Wohltat nach den Ausdünstungen der Stadt.
    In gemächlichem Schritt fuhren sie dahin. Rechts und links des Weges wiegten sich Fruchtbäume auf Wiesen. Felder und Pflanzungen dehnten sich aus, so weit das Auge blickte, und erklommen in der Ferne blau schimmernde Hügel. Über all dem frischen Grün spannte sich der Himmel in so tiefem Azur, dass Fygen beinahe fürchtete, sich darin zu verlieren.
    Auf den Feldern mühten Bauern sich mit ihren Hacken, schnitten Luzerne und pflückten Früchte. Zum Schutz gegen die Sonne hatten sie ausgeblichene Lappen fest um die Köpfe gewickelt.
    Ein Hirtenjunge saß nahe dem Weg. Er hatte den Kopf auf die Knie gelegt und döste im Schatten, während seine Handvoll Ziegen sich am Gras unter den Orangenbäumen gütlich tat. Ein Stück abseits der Straße, inmitten der smaragdenen Felder, duckten sich vereinzelt niedrige Barracos. Die Häuser der Feldarbeiter schienen nur aus zotteligen Schilfdächern zu bestehen, denn ihre aus Lehm gebauten Seitenwände zogen sich zwischen den weißgetünchten Giebeln nur wenige Fuß in die Höhe.
    Es war warm geworden. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und warf kurze dunkle Schatten unter die Bäume. Bewundernd betrachtete Fygen diese vor Fruchtbarkeit strotzende Landschaft. Bei diesen Witterungen konnten die Feldfrüchte gar nichts anderes tun, als zu gedeihen, und auch Wasser schien es genug zu geben: Ein Netz von trüben Rinnsalen durchschnitt das Land. Es sah nicht so aus, als zögen sich die schmalen Wasserläufe zufällig durch die Felder, dafür waren die Abstände zwischen ihnen zu gleichmäßig und ihr Lauf zu gerade. Sie wirkten wie von Menschenhand geschaffen.
    »Bewässerungskanäle«, erklärte de la Vega auf Fygens Frage hin. Er zog die Zügel an, verlangsamte die Fahrt und bog in einen kleinen Wirtschaftsweg ein, der sich zwischen den halbrunden Kronen eines Orangenhaines hindurchschlängelte. »Eine Kunst der Mauren«, fuhr er fort. »Sie haben es darin zur Perfektion gebracht. Das Wasser wird seinen natürlichen Läufen entzogen, in schmalen Kanälen von den Bergen herabgeführt und über die ebenen Äcker verteilt.«
    Kurz ruckte de la Vega an den Zügeln. Die Pferde verließen den Weg und zogen den Wagen holpernd über das Gras zwischen den Bäumen, um nur wenige Augenblicke später inmitten des Orangenhains zum Stehen zu kommen.
    De la Vega sprang vom Wagen und band sorgsam die Zügel an einen Stamm, bevor er Fygen herabhalf. Dann hob er einen Korb, der mit blütenweißem Tuch bedeckt war, von der Ladefläche des Wagens und stellte ihn im Schatten neben dem Stamm eines der Bäume ab. Mit einem Seufzen ließ er sich neben dem Korb ins Gras sinken und bedeutete Fygen, es ihm gleichzutun. Dann nahm er das Tuch vom Korb und breitete es auf dem Boden aus.
    Fygen sah seinem Tun einen Moment stirnrunzelnd zu. Eine Erfrischung wäre jetzt schon sehr verlockend. Aber sie wagte zu bezweifeln, dass es dem Besitzer des Orangenhaines recht war, dass sie hier lagerten.
    »Dürfen wir uns denn hier so einfach niederlassen«, fragte sie daher.
    »Wer soll uns denn von hier vertreiben?«, antwortete de la Vega mit einer Gegenfrage.
    »Nun, vielleicht der Besitzer dieses Orangenfeldes.«
    »Wohl kaum«, antwortete de la Vega mit einem spitzbübischen Lächeln. »Es ist mein Land.«
    Derart beruhigt ließ Fygen sich nun ebenfalls nieder und lehnte sich an den Stamm des Baumes.
    Durch das Blätterdach schlichen vereinzelte Sonnenstrahlen und sprenkelten das Tuch, auf das de la Vega nun eine Köstlichkeit nach der anderen legte. Saftiger Schinken aus Serrano, ein duftender Laib Brot, ein Töpfchen mit Öl, in dem murmelgroße, schwarz glänzende Kugeln schwammen, und eine Handvoll praller, leuchtend roter Früchte kamen zum Vorschein. Zum Schluss ein irdener Krug und zwei Becher.
    Während er dunkelroten Wein in die Becher schenkte, nahm Alejandro das Gespräch an der Stelle wieder auf, wo sie es unterbrochen hatten: »Das Bewässerungssystem bedarf sorgfältiger Verwaltung und Pflege, denn die Kanäle müssen ständig in Ordnung

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