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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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gehalten werden. Nicht selten kommt es zwischen den Bauern zum Streit um das Wasser.« Er reichte Fygen einen Becher. »Vielleicht habt Ihr gestern das Wassergericht vor dem Domportal bemerkt?«, fragte er und kostete einen Schluck. »Seit maurischer Zeit tagt es dort jeden Donnerstag vor dem Apostelportal, um die Streitigkeiten über die Bewässerung der Felder zu schlichten.«
    Fygen nickte. Das also hatte die seltsame Versammlung zu bedeuten, die sie vor der Kirche gesehen hatte. Sie probierte ebenfalls von dem Wein. Er war stark und schmeckte fruchtig. »Mir scheint, Ihr bewundert die Mauren«, sagte sie. »Ist es denn nicht eine Befreiung, dass sie fort sind?«
    De la Vega löste sein Messer vom Gürtel, schnitt bedächtig ein Stück vom Schinken ab und reichte es Fygen. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Sie sind Barbaren, aber in den Wissenschaften sind sie uns um Längen voraus«, sagte er schließlich. »In der Medizin, in der Astronomie …« Ein Hauch von Wehmut mischte sich in sein Lächeln. »Meine Mutter war Maurin.«
    Überrascht blickte Fygen ihn an. Das erklärte seinen dunklen Teint und die schwarzen Haare.
    »Sie war eine Morisca, eine getaufte Maurin«, fuhr de la Vega fort. Seine Stimme war so leise, dass Fygen sich vorbeugen musste, um seine Worte zu verstehen. »Eine wunderschöne Frau, auch noch im Alter. Ihr Vater fiel bei der Reconquista. Als dann auch noch die Mutter starb, musste sie sich allein durchschlagen, als Schankmagd in den Tavernen der Stadt. Sie traf den alten Wilhelm, als er auf einer seiner Handelsreisen nach Valencia kam. Im Jahr 1454 muss das gewesen sein. Er war zwanzig Jahre älter als sie, doch er muss damals ein gutaussehender Kerl gewesen sein, großgewachsen und mit strohfarbenem Haar. Und er war vermögend. Sie wurde seine Geliebte und blieb bei ihm, solange er in der Stadt war. Als er abreiste, war sie in Umständen.«
    Ein leichter Wind raschelte in den Blättern. De la Vega unterbrach sich und nahm einen großen Schluck aus dem Becher, bevor er fortfuhr: »Zehn Jahre später kam er plötzlich zurück, um sich hier niederzulassen. Er kaufte das Stadthaus und holte meine Mutter und mich zu sich, um bei ihm zu leben.«
    Er hatte sich zurückgelehnt und stützte sich auf seinen Ellbogen. Wieder hielt er für einen Moment inne, und als er weitersprach, lag Zärtlichkeit in seiner Stimme. »Sie führte ihm den Haushalt und hatte es sicher nicht immer leicht mit ihm. Doch ich glaube, sie war zufrieden damit, auf ihre alten Tage versorgt zu sein, denn obwohl er sie anschrie und bisweilen schlug, habe ich sie bis zu ihrem Tode nie Klage führen hören. Was konnte eine Frau ihrer Profession schließlich mehr verlangen?«
    De la Vega verstummte, und eine Weile saßen sie schweigend da. Die Blätter des Baumes färbten das Licht grünlich. Eine Fliege summte herbei und ließ sich auf dem Tuch nieder. Beiläufig scheuchte Alejandro sie fort und griff nach dem Brotlaib. Er brach ein Stück davon ab, tunkte es in das Steinguttöpfchen, und als es sich voll des goldgelben Öls gesogen hatte, reichte er es Fygen. Auch für sich brach er einen Kanten, dann fingerte er eine der dunklen Früchte aus dem Öl, und mit größter Selbstverständlichkeit steckte er sie Fygen in den Mund.
    Forschend drehte Fygen die glatte schwarze Murmel in ihrem Mund, bevor sie hineinbiss. In der Frucht verbarg sich ein harter Kern. Genüsslich verspeiste Fygen das herzhafte Fruchtfleisch, dann spuckte sie den Kern in die hohle Hand. Sie genoss es, hier mit Alejandro zu sitzen, genoss die ruhige Vertrautheit zwischen ihnen, die auch ihr Schweigen nicht unangenehm werden ließ.
    Alejandro richtete sich auf und pflückte eine der prallen Orangen vom Baum über ihnen. Geschickt schnitt er mit dem Messer die fleischige Haut in Sechstel, schälte sie ab und reichte Fygen das goldgelbe Innere. Fygen hob die Frucht zum Mund. Ein betörender Duft drang ihr in die Nase, und voller Genuss biss sie in das süße, sonnenwarme Fruchtfleisch. Ein Tropfen des Saftes rann ihr das Kinn hinab.
    Unwillkürlich streckte Alejandro die Hand aus, und wie man es bei einem Kind tat, fing er den Tropfen mit dem Finger auf und steckte sich diesen in den Mund.
    Die vertrauliche Geste entlockte Fygen ein Lächeln, und abermals streckte Alejandro seine Hand aus. Sachte zeichnete er mit dem Finger den Schwung ihrer Lippe nach, dann ließ er seine Hand sinken und griff gleichmütig nach seinem Messer. So konzentriert schnitt er

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