Die Tochter der Seidenweberin
neue Garderobe zu präsentieren, stellte Lisbeth fest, als sie in den Saal der van der Sars im Obergeschoss des Hauses Zum Großen Schuh trat. Sie selbst hatte sich für ein Überkleid in der Farbe reifer Äpfel entschieden, das reich bestickt war und dessen weite Ärmelschlitze den leichten lindgrünen Taft des Unterkleides sehen ließen.
Und so gerieten über den Ahs und Ohs, mit denen die Damen die neuesten Machwerke der Schneider bedachten, die Spekulationen über den Anlass dieser Zusammenkunft in den Hintergrund.
An der Stirnseite des Saales hielt Brigitta van Berchem Hof, umgeben von einem Grüppchen aufgeregter Frauen. Hinter ihr, die Arme vor der schmalen Brust verschränkt, stand ein junges Mädchen mit grau-grünen Augen und spitzem Kinn – Jacoba. Bei Brigitta also hatte das undankbare Lehrmädchen von Clairgin seine Lehrzeit beendet, dachte Lisbeth. Vermutlich war Jacoba bei Brigitta geblieben und arbeitete nun für sie um Lohn. Erst jetzt, bei Jacobas Anblick, entsann Lisbeth sich ihres Vorsatzes, mit Clairgin über das Lehrmädchen zu sprechen. Sie hatte es über den Tod des alten Hans Her und über ihren eigenen Kummer ganz vergessen, doch jetzt war es dafür natürlich viel zu spät.
Suchend blickte Lisbeth sich nach der Freundin um, doch sie konnte Clairgin nicht zwischen den versammelten Seidmacherinnen ausmachen.
In dem Moment trat Brigitta van Berchem, flankiert von ihrer Schwester Gunda, Frieda Medman und Dres und Mechthild van der Sar, in die Mitte des Saales. Augenblicklich verstummten die Gespräche, und gespannt wandte man sich der einstigen Amtsmeisterin zu.
Deren Miene zeigte Strenge. »Zu unserem großen Bedauern mussten wir erfahren«, hob sie an, »dass sich eine von uns dreist und selbstsüchtig über die Zunftordnung hinweggesetzt hat, um sich schamlos zu bereichern.« Brigitta schöpfte Luft, wohl wissend, dass sie die Spannung der Anwesenden damit erhöhte. Ganz still war es. Selbst Gunda begnügte sich angesichts dieser Ungeheuerlichkeit mit einem Nicken, so dass das Tschilpen eines Spatzes, das durch das geöffnete Fenster vom Hof heraufdrang, ungebührlich laut erschien.
»Frau van Breitbach«, rief Brigitta energisch.
Lisbeth schlug die Hand vor den Mund und konnte nicht umhin, wie alle anderen auf der Suche nach der Genannten sich umzuschauen.
In der Nähe der Tür wichen die Frauen auseinander und bildeten eine schmale Gasse, durch die sie Clairgin zwar nicht grob, doch mit Bestimmtheit nach vorn schubsten, bis sie vor Brigitta zu stehen kam.
Entsetzt starrte Lisbeth die Freundin an. Anders als die meisten Damen schien Clairgin die Versammlung nicht zum Anlass genommen zu haben, ein neues Frühlingskleid vorzuführen. Sie trug ein schlichtes erdfarbenes Kleid aus dem Vorjahr, das an Saum und Ärmeln schwarz gepaspelt war, ganz so, als wolle sie sich auch dem Äußeren nach von ihren Zunftkolleginnen unterscheiden.
Ihr ovales Gesicht war bleich, und ihre Lippen zusammengepresst. Zu Lisbeths Erstaunen hielt sie den Kopf nicht schamhaft gesenkt, sondern erwiderte trotzig die missbilligenden Blicke ihrer Zunftgenossinnen.
»Ihr seid beobachtet worden, wie Ihr Rohseide nach Deutz geschmuggelt habt, um sie dort zu geringerem Preis spinnen zu lassen«, hielt Brigitta van Berchem ihr vor.
Clairgin nickte. Sie machte sich gar nicht die Mühe, zu leugnen.
Brigitta verschlug es für einen Moment die Sprache. Schließlich fragte sie konsterniert: »Ihr wisst nicht, dass Ihr damit unsere fleißigen und ehrlichen kölnischen Seidspinnerinnen um ihr Brot bringt?«
»Doch.« Clairgins Stimme klang fest.
Brigitta kämpfte mit der Fassung. »Darauf steht der Ausschluss aus der Zunft.« Ihr Schnarren erklomm ungekannte Höhen.
Ein Raunen stahl sich durch den van der Sarschen Saal.
Ausschluss aus der Zunft! Das wäre eine Katastrophe für Clairgin, dachte Lisbeth entsetzt. Es käme dem Verbot gleich, ihren Beruf auszuüben, denn weder Seidspinnerinnen noch Seidfärber durften für nichtzünftige Seidmacherinnen arbeiten. Womit sollte Clairgin dann künftig ihr Brot verdienen, fragte Lisbeth sich. Schließlich hatte sie zwei kleine Töchter und anders als die meisten hier keinen gutverdienenden Händler zum Mann.
Lisbeth war nicht die Einzige, der die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben stand. Katharina Loubach, die ihr gegenüberstand, Veronika van Herten und Genovefa van Wychtericht schienen nicht weniger berührt. Nur die Miene von Mechthild, der Gattin von Dres van der
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