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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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ein wenig zusammenrücken würde, so fände sich noch Platz für einen weiteren, hatte Lisbeth entschieden, und war sich gerade mit dem Schreiner, der ihr einen neuen Webstuhl anfertigen sollte, handelseinig geworden, als ihr ein scharfes Ziehen durch den Leib fuhr. Erschreckt presste sie die Hand auf den Bauch.
    Doch sie wusste, das würde nicht helfen. Das Ziehen würde stärker werden, sich in Schmerz verwandeln, und dann würde das Bluten kommen. Lisbeth war es, als zerbräche etwas in ihr. Alle Kraft schien sie plötzlich zu verlassen. Ohne ein Wort verließ sie die Werkstatt und stieg unter Mühen in ihre Kammer hinauf.
    Kraftlos ließ sie sich auf ihre Bettstatt sinken und barg den Kopf in den Kissen. Doch die Tränen wollten nicht fließen.
    Lange lag sie so da und kämpfte mit der Enttäuschung. Sie würde nie Kinder haben – ganz gleich, was ihr der Arzt, die Hebamme oder die Zigeunerin vorgegaukelt hatten. Sie alle verdienten ihr Brot mit der Hoffnung, die sie verkauften.
    Es war gleich, was sie unternahm. Sie könnte zu Dutzenden von heilkundigen Frauen, Ärzten, Badern oder Gesundbetern laufen. Gott hatte dieses Glück für sie nicht vorgesehen. So schmerzlich es auch war, sie würde sich damit abfinden müssen.
    Die Glocke von Groß Sankt Martin rief zur Vesper. Es war Zeit für das Nachtmahl, doch Lisbeth vermochte nicht hinunterzugehen. Trübe starrte sie auf das milchige Stück Himmel hinter dem Fenster, das langsam in der Abenddämmerung verblasste.
    Es war leicht gesagt – sich damit abfinden! Doch wie bitter war es, sich vorzustellen, dass sie nie ihr eigenes Kind im Arm halten würde! Nie würde sie die Wärme des kleinen Körpers an dem ihren spüren, die winzigen Händchen berühren, die nach ihr griffen, an ihr Halt suchten, das grenzenlose Vertrauen in den großen Augen erblicken, mit dem nur Kinder ihre Eltern ansehen können!
    Nun endlich, nach Stunden, kamen die Tränen. Haltlos schluchzte Lisbeth ihren Kummer in die Kissen.
    Zwei ganze Tage schon lag Lisbeth krank, war nicht in der Lage, ihre Bettstatt zu verlassen und sich anzukleiden. Die liebevoll bereiteten Speisen, die man ihr hinaufschickte, rührte sie nicht an. Eine dumpfe Traurigkeit hüllte sie wie in Watte und schien all ihre Lebenskraft aufzusaugen.
    Am Morgen des dritten Tages ließ ein resolutes Klopfen Lisbeth auffahren. »Was ist jetzt mit dem Bamasmarkt?«, tönte die Stimme von Stina Lommerzheim barsch durch die Tür. »Wenn Ihr nicht hinreisen wollt, dann können wir ja alle nach Hause gehen!«
    Lisbeth vernahm die Worte und verstand auch ihren Sinn, doch sie war nicht in der Lage zu antworten. Nach einer Weile hörte sie, wie sich die schweren Schritte der Seidmacherin entfernten.
    Stinas Worte waren anmaßend gewesen, der Tonfall nicht minder. Doch es war genau diese Unverschämtheit, der es gelang, das düstere Gespinst, das Lisbeth umgab, zu durchdringen.
    Außerhalb ihrer Kammer ging das Leben weiter, erkannte Lisbeth. Es hielt nicht einfach an, nur weil sie hier vom Kummer überwältigt lag. Da draußen waren Menschen, für die sie Verantwortung trug. Die Lehrmädchen, die Weberinnen, Spinnerinnen und Färber. Ihr aller Wohl hing davon ab, dass sie ihnen Arbeit und Brot gab, des einen mehr, des anderen weniger. Sie konnte sich nicht einfach vor der Welt verstecken. Überdies brachte ihr das Trauern nichts ein – davon bekäme sie schließlich auch kein Kind.
    Als Lisbeth sich aufrichtete, hatte sie einen Entschluss gefasst. So schwer es auch war, sie würde sich mit ihrer Kinderlosigkeit abfinden! Dies war das letzte Mal, dass sie darum geweint hatte!

9 .  Kapitel
    W eit weniger geheim als die Zusammenkunft im Goldenen Krützchen war die Versammlung, zu der Dres van der Sar für diesen Nachmittag geladen hatte. Ein gutes halbes Jahr war vergangen, und der ehrenwerte Rat der Stadt Köln hatte – wie zu erwarten – den Seidmacherinnen die Genehmigung verweigert, einen Seidenstoff mit leinenem Einschlag herzustellen.
    Eine Weile hatte man zwar noch in den Reihen der weniger begüterten Seidmacherinnen gemurrt, doch keiner hatte dem größere Aufmerksamkeit geschenkt, und bald schon hatte man sich anderen Dingen zugewandt. Der Parger konnte also sicher nicht der Grund dafür sein, weshalb man heute ganz offiziell die Meisterversammlung einberufen hatte – zum ersten Mal seit langem.
    Es war der erste Frühlingstag, der diesen Namen verdiente, und die Damen nutzten fast ausnahmslos die Gelegenheit, ihre

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