Die Tochter der Seidenweberin
Sar, zeigte ein selbstgerechtes Lächeln.
Nun verteidige dich doch, flehte Lisbeth stumm die Freundin an und krampfte die Finger ineinander. Doch Clairgin nickte erneut. Ihre Miene war unbewegt. Wie konnte sie diese Strafe einfach so hinnehmen?
Das Raunen schwoll zu einem Stimmengewirr. Der Unmut einiger Seidmacherinnen war fast greifbar, und es dauerte eine geraume Weile, bis endlich wieder Ruhe im Saal einkehrte. Eine gespannte Ruhe, in der sich aller Augen auf Brigitta van Berchem richteten. Lisbeth hielt vor Anspannung die Luft an.
Als das Raunen zur Gänze verstummt war, breitete Brigitta wohldosiertes Mitgefühl über ihr Gesicht und ergriff erneut das Wort. »Trotzdem sollten wir Milde walten lassen«, verkündete sie. »Ich denke, im Sinne aller zu handeln, wenn wir dich nicht der Zunft verweisen.«
Zustimmendes Murmeln bestätigte ihre Worte, und Lisbeth atmete erleichtert auf.
Für einen winzigen Moment kräuselte ein flüchtiges, beinahe spöttisches Lächeln Clairgins Lippen, und es schien Lisbeth, als habe die Freundin mit genau diesem Vorgehen Brigittas gerechnet.
»Doch Strafe muss sein!«, verkündete diese schnarrend. »Der Seide, die du in Deutz hast spinnen lassen, gehst du natürlich verlustig.« Scharf fasste sie Clairgin ins Auge. »Ich darf davon ausgehen, dass es nicht weniger war als ein Zentner?«
Clairgin antwortete nicht. Schweigend erwiderte sie Brigittas Blick, und schlagartig wurde Lisbeth klar, dass die Freundin genau wusste, was sie tat. Dass sie die Seide aus der Stadt geschafft hatte, war wohl nicht zu leugnen gewesen. Dafür gab es sicher Zeugen. Doch jetzt ging es um das Strafmaß, und Clairgins Schweigen ließ Lisbeth ahnen, dass es weit mehr als der von Brigitta geschätzte Zentner gewesen sein mochte. Doch mehr konnte Brigitta Clairgin anscheinend nicht nachweisen.
»Einen Zentner also!«, entschied Brigitta. »Den hast du abzuliefern. Der Verkaufserlös geht zur einen Hälfte in die Zunftkasse, zur anderen Hälfte an die Städtische Rentkammer.«
Ein Zentner Seide! Das war die Menge, die Clairgin etwa in einem ganzen Monat verwebte, dachte Lisbeth. Die Rohseide allein hatte einen Wert von zweihundertfünfzig Gulden. Dazu kam der Lohn, den Clairgin an die Spinnerinnen auf der anderen Rheinseite gezahlt hatte. Von der Arbeit ganz zu schweigen, wenn sie die gesponnene Seide gar schon verwebt hatte. Es war eine empfindliche Strafe für Clairgin, doch war das Allerschlimmste abgewendet worden.
Aufrecht, mit unbewegter Miene nahm Clairgin das Urteil entgegen.
Nachdem sich die Versammlung im Hause van der Sar aufgelöst hatte, holte Lisbeth Clairgin in der Gasse ein. »Da bist du ja noch einmal gut davongekommen! Wie konntest du das nur tun?«, fragte Lisbeth die Freundin schroffer als beabsichtigt. Die Erleichterung darüber, dass Clairgin mit einer vergleichsweise milden Strafe davongekommen war, hatte Lisbeths Sorge in Ärger verwandelt.
»Davongekommen?«, fragte Clairgin höhnisch. »Davongekommen nennst du das?« Abrupt blieb sie stehen und blickte Lisbeth verächtlich an.
»Immerhin haben sie dich nicht aus der Zunft geworfen!«
»Natürlich nicht. Was hättet ihr auch davon? Im Gegenteil. Es ist doch viel praktischer, uns ärmere Seidmacherinnen mit drastischen Geldstrafen zu belegen. Dann können wir uns die Rohseide nicht mehr leisten und müssen, statt auf eigene Rechnung zu arbeiten, für euch Reiche um Lohn wirken. Ist doch ein guter Weg, uns in eure Abhängigkeit zu bringen!«
»Warum hast du denn auch in Deutz spinnen lassen? So etwas muss doch irgendwann auffallen!«
»Alle machen es. Du machst es doch auch!«
»Was? Seide auswärts spinnen lassen? Nein, sicher nicht.«
»Nun, dann gibst du sie halt den Beginen zum Spinnen oder tust andere Dinge, die gegen die Zunftordnung verstoßen. Wie viele Lehrtöchter hast du jetzt? Sechs? Acht?«
»Die Regeln haben sich gelockert. Es ist nicht mehr so streng wie zu Zeiten meiner Mutter. Ich bin nicht die Einzige, die mehr als vier Lehrtöchter hat. Die Berchem-Schwestern, Frieda Medman …« Lisbeth verstummte, als zwei Dienstmägde, die mit gefüllten Körben vom Markt zurückkehrten, ihren Schritt verlangsamten und sich interessiert nach ihnen umwandten. Frauen, die sich auf der Straße zankten, waren kein ungewohnter Anblick. Anders jedoch, wenn es sich, zumindest bei einer von beiden, ganz offensichtlich um Damen aus den vornehmen Häusern der Stadt handelte.
Bitter fuhr Clairgin fort: »Ja, für dich
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