Die Tochter der Seidenweberin
ausgerechnet du hast sicherlich nichts dagegen gehabt, dachte der Greve. Der Ekel in seinem Gesicht wuchs. »Und dann?«
»Dann hat er sich an meinem Hosenriemen zu schaffen gemacht!« Segers Stimme erklomm ungekannte Höhen. »Er hat mir an den Zerss gefasst!« Aufgeregt fuchtelte Seger mit den Armen. »Seinen Zerss wollte er mir in den A…«
»Ich muss doch bitten!« Der Greve war pikiert. Nur gut, dass diese Befragung hinter verschlossenen Türen stattfand. »Was geschah dann?«
»Ich hab mich losgemacht und bin davongerannt«, rief Seger entrüstet. »Eingesperrt gehört der! Eingesperrt!«, kreischte er.
Was für ein Irrer, dachte nun auch der Greve und war sich darin mit Herman einig. Doch versuchte Vergewaltigung war ein schweres Vergehen. Er musste Segers Anschuldigungen ernst nehmen, auch wenn er diesen Vogel am liebsten gleich mit eingesperrt hätte.
Doch zuvor, so beschloss er, würde er Seger ein wenig auf den Zahn fühlen. »Wir werden Euch dazu eingehender befragen müssen«, sagte er und bedachte sein Gegenüber mit einem vielsagenden Blick. Gebieterisch hob er die Hand, um die Büttel herbeizuwinken, die an die Wand gelehnt bereitstanden.
Sogleich verstummte Segers Gekreisch. In seltsam grotesker Weise verdrehte der Färber die Arme miteinander und legte die Handflächen ineinander. Sein ohnehin blasses Gesicht verlor alle Farbe. »Es ist, wie ich sage«, heulte er, setzte den rechten Fuß verdreht neben den linken und presste die Knie gegeneinander. »Wär ich sonst so blöd, hierherzukommen?«
Der Greve warf einen verächtlichen Blick auf die schlotternde Gestalt des Seidfärbers. Blöd war der Kerl, dessen war er sicher. Aber auch viel zu feige, als dass er hier auftauchen und falsches Zeugnis ablegen würde, entschied er.
Wie wild hieben die Fäuste des jungen Burschen gegen das rote Tor. Lisbeth öffnete selbst, und in der hereinbrechenden Dämmerung benötigte sie einen Moment, bis sie Jost erkannte.
Der jüngste Knecht der Wolkenburg war sichtlich außer Atem. Mit einer Hand stützte er sich am Pfosten des Tores ab und hielt sich mit der anderen die schmerzende Seite. Es schien, als sei er den ganzen Weg von Sankt Cäcilien bis hierher gerannt.
»Hilda schickt mich!«, stieß er hervor. »Ich soll Euch sagen, man hat den Herrn Alberto verhaftet und in die Hacht gebracht!«
Lisbeth gab einen erstickten Laut von sich und griff sich an die Kehle.
»Alberto? Sieh an!«, brummte Mertyn, der eben hinzutrat. »Mit dem hat sich Herman anscheinend einen rechten Floh in den Pelz geholt. Ich hab ihm noch nie getraut. Keiner weiß genau, woher …«
Die letzten Worte ihres Mannes erreichten Lisbeth bereits nicht mehr. Hastig hatte sie sich einen gewachsten Umhang über die Schultern geworfen, und noch ehe ihr Gatte zur Gänze begriffen hatte, was geschah, eilte sie mit fliegenden Röcken davon.
Lisbeth erreichte die Wolkenburg trockenen Fußes, doch in dem Moment, als sie in den Schutz des Torhauses trat, zuckte der erste Blitz. Der Himmel hatte endlich ein Einsehen, und erste, münzgroße Tropfen schlugen in den Staub der Straße.
Der Hof der Wolkenburg lag im Dunkel, doch Hilda erwartete Lisbeth an der Tür.
»Wo ist er?«, fragte Lisbeth hastig.
»In der Hacht. Im erzbischöflichen Gefängnis. Sie haben ihn abgeholt und …«
»Nein, ich meine Herman«, unterbrach Lisbeth die alte Haushälterin.
Bekümmert blickte Hilda sie an. »Der junge Herr sitzt in seinem Kontor.«
»Und Stephan?«
»Auf Reisen seit ein paar Tagen.«
Für einen Moment runzelte Lisbeth die Stirn. Aus welchem Grunde mochte Stephan verreist sein? Jetzt, kurz vor Einbruch des Winters. Doch rasch wischte sie den Gedanken beiseite. Das war jetzt nicht wichtig.
Lisbeth fand ihren Bruder im Dunkel seines Kontors sitzend, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben. Obzwar die Dämmerung bereits hereingebrochen war, hatte er es versäumt, ein Licht anzuzünden. Bei ihrem Eintreten hob er nicht einmal den Kopf.
Wortlos trat Lisbeth auf ihren Bruder zu und schloss ihn in die Arme. Ein unterdrückter Schluchzer entfuhr Herman, und Lisbeth spürte, wie sein Körper in ihren Armen bebte. Lange hielt sie ihn einfach fest, seinen Kopf an ihre Brust gedrückt, und wiegte den großen Mann wie ein Kind.
»Was ist geschehen?«, fragte sie leise, als sein Beben endlich nachließ.
Stockend zunächst, dann immer erregter, berichtete Herman, wie die Büttel des Greven erschienen waren und
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