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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Alberto geradewegs aus seinem Kontor heraus verhaftet hatten. Nur seiner Stellung als Ratsherr und dem Respekt, den die Büttel ihm zollten, verdankte er, dass sie ihm den Grund mitteilten: Alberto habe Seger Sydverwer unsittlich angefasst. Habe versucht, sich an ihm zu vergehen.
    Sich an Seger Sydverwer zu vergehen! Diese Anschuldigung war so ungeheuerlich, dass Lisbeth schwindelig wurde. Haltsuchend ließ sie sich in einen Sessel neben Herman sinken.
    »Ich hätte mir Seger packen sollen. Er ist mir ja regelrecht in die Arme gelaufen. Wenn ich nur gewusst hätte, was er im Schilde führte. Doch dafür ist es jetzt zu spät«, sagte Herman dumpf. Mit knappen Worten berichtete er seiner Schwester, wie Seger aus der Wolkenburg gestürmt war, und Lisbeth wurde die Kehle eng.
    Herman rang die Hände. »Ich habe versucht, den Bütteln zu erklären, dass das ein Irrtum sein müsste. Eine Verleumdung. Doch sie haben nicht auf mich gehört.« Resigniert ließ er die Hände in den Schoß sinken. »Selbst wenn ich mich für ihn verwenden würde, es würde nichts nützen. Ein so schlimmes Verbrechen wie das, wessen man Alberto beschuldigt, unterliegt dem Hochgericht. Es ist ein Fall für den Greven und die Schöffen. Der Greve ist zwar kölnischer Bürger, aber er untersteht dem Erzbischof. Da endet der Einfluss eines jeden Ratsherrn. Überdies haben zu viele gesehen, wie Seger schreiend davongelaufen ist«, endete Herman.
    Die Ohnmacht in seiner Stimme schnitt Lisbeth ins Herz. Er brauchte es nicht auszusprechen. Sie beide wussten, auch wenn Alberto die Dinge, deren Seger Sydverwer ihn beschuldigte, nie begangen hatte, so stünde doch sein Wort, das Wort eines Fremden, gegen das eines, zugegebenermaßen nicht bestens beleumundeten, doch kölnischen Bürgers.
    Und eben weil Seger keinen Ruf zu verlieren hatte, weil jeder wusste, welchen Neigungen er frönte, mochte man ihm Glauben schenken.
    Als wäre Herman Lisbeths Gedanken gefolgt, sagte er kaum hörbar: »Er hat es nicht getan. Er und ich … er ist …«
    »Ich weiß«, flüsterte Lisbeth und strich ihm tröstend über den Arm. »Er hätte das nie getan.«
    Dankbar blickte Herman sie an, und trotz des schwachen Lichtes sah Lisbeth den grenzenlosen Schmerz in seinen Augen.
    Für eine Weile versanken sie in hilflosem Schweigen, nur der Regen war zu hören, der in heftigen Schauern gegen die Fenster peitschte. Lisbeth fand keine Worte des Trostes für ihren Bruder. Es gab keine.
    Es gab nur eine Frage, und Lisbeth stellte sie laut: »Warum? Warum tut Seger das? Was hat er gegen Alberto? Oder gegen dich?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe noch nie etwas mit diesem Kerl zu schaffen gehabt, und ich glaube nicht einmal, dass Alberto Seger kennt. Vielleicht hat jemand Seger dazu angestiftet.«
    Lisbeth dachte einen Moment über Hermans Worte nach. »Wer könnte so einen Hass auf euch haben, dass er Seger zu solch einer Grausamkeit anstiftet?«, fragte sie schließlich. »Habt ihr einen Strauß mit einem anderen Kaufmann?«
    »Nein, das habe ich auch schon überlegt. Mir fällt niemand ein. Und auch im Rat ist nichts vorgefallen, das über gewöhnlichen Disput hinausginge …«
    Die Erwähnung des Rates brachte Lisbeth Brigitta van Berchem in den Sinn, und sie spürte, wie ihr ein kalter Schauder das Rückgrat hinaufkroch. Die Seidmacherin hatte ihr unverhohlen gedroht, doch Lisbeth hatte sich nicht darum geschert, sondern Herman dazu gedrängt, sich für die Zulassung von Rita zum Seidamt einzusetzen. War es möglich, dass Brigitta hinter Segers Verleumdung steckte?
    Lieber Gott, bat sie stumm, lass das nicht den Grund sein! Auf ihrer Haut bildeten sich feine Schweißperlen. Kaum vermochte sie ihre Befürchtung in Worte zu fassen. »Kann es sein, weil du dich für die Zulassung von Rita eingesetzt hast?«, fragte sie bang und hielt den Atem an.
    »Das erscheint mir ziemlich abwegig.« Herman machte eine wegwerfende Geste, und Lisbeth atmete verstohlen auf, unendlich erleichtert, diese Schuld nicht auf sich geladen zu haben.
    »Es ist müßig, nach dem Grund zu suchen«, fuhr Herman mit müder Stimme fort. »Überall gibt es Leute, denen Menschen wie wir ein Dorn im Auge sind. Nirgendwo auf dieser Welt werden wir unseren Frieden finden. Und Gottes Strafe wartet im Jenseits …« Gequält presste er die Worte hervor. Doch dann brach es mit so ungeahnter Heftigkeit aus ihm heraus, dass Lisbeth zusammenfuhr: »Mein Gott! Wir haben uns das doch nicht ausgesucht. Diese Liebe ist

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