Die Tochter der Seidenweberin
von Seger Sydverwer.«
Frenetischer Jubel brandete über den Domhof. Die Zuschauer hoben die Arme über die Köpfe, applaudierten und pfiffen.
Lisbeth biss sich auf die Lippe. Es war ihr bewusst gewesen, dass man erst zu Gericht sitzen würde, wenn der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hatte, denn ohne Geständnis kein Urteil. Doch das Urteil ausgesprochen zu hören, das zerstörte alle Hoffnung, die sie für Alberto im Geheimen noch gehegt hatte.
Voller Angst vor dem Maß der Strafe, mit der man Alberto belegen würde, krampfte sie die Hand in Hermans Unterarm.
Der Greve wartete ab, bis sich der Radau auf dem Domhof gelegt hatte, bevor er die Strafe verkündete: »Ihr werdet durch das Feuer vom Leben zum Tode gebracht!«
Die Menge jubelte begeistert. Eine Verbrennung fand nicht alle Tage statt und versprach rohen Gemütern eine außergewöhnliche Lustbarkeit.
Lisbeth spürte die Worte des Greven wie einen Schlag, und sie fühlte, wie Herman neben ihr erstarrte. Das Verbrennen war eine ehrlose Strafe und zudem eine grausame, hatte der Verurteilte doch unsägliche Qualen zu erleiden, bis er endlich zu Tode kam.
Der Greve wandte sich an den ersten Schöffen in der Bank. »Seid Ihr mit dem Urteil einverstanden?«, fragte er.
Nein, bitte sag nein, flehte Lisbeth stumm und schloss die Hände zu Fäusten. Die Schöffen wurden zwar formell vom Erzbischof eingesetzt, doch sie waren in Köln geborene und eingesessene Bürger. Sie konnten einem Urteil widersprechen …
Doch klar und deutlich sprach der Mann die Formel, mit der die Schöffen als Vertreter der Stadt ihre Zustimmung zum Urteil des Greven erteilten: »Das teile ich mit der Bannglocke mit!«
Der nächste Schöffe gab nicht minder fest seine Zustimmung, dann noch einer und der nächste, und als schließlich der letzte Schöffe seine Zustimmung bekundet hatte, erlosch auch Lisbeths letzter Funken Hoffnung.
Die Armsünderglocke wurde angeschlagen. Dünn und elend tönte sie über den Domhof, und kaum dass der letzte Ton von den grauen Nebelschwaden aufgesogen worden war, führte man Alberto in das Geviert zwischen die Schöffenbänke.
Wieder erhob der Greve die Stimme und wandte sich nun direkt an Alberto: »Ihr seht wohl, dass Ihr sterben müsst. Also ist nun der rechte Moment, es einzugestehen, so Ihr noch mehr verbrochen habt, damit nicht gar ein anderer Eurer Missetaten wegen in Verdacht oder böse Nachrede komme.«
Gespannte Stille breitete sich über den Domhof. Erwartungsvoll harrte man auf pikante Einzelheiten des Verbrechens und Geständnisse anderer ruchloser Taten.
Doch Alberto schüttelte den Kopf, das Gesicht schmerzverzerrt. »Ich habe weiter nichts zu gestehen«, sagte er fest.
Vereinzelt schallten Rufe der Enttäuschung aus der Menge.
»Dann frage ich Euch nun: War an der Tat, wegen der Ihr sterben müsst, auch noch jemand anderer als Helfer oder Mitwisser beteiligt?«
Abermals wurde es still auf dem Domhof. Lisbeth sah, wie der Gerichtsschreiber eifrig nach der Feder griff.
Erneut schüttelt Alberto den Kopf. »Nein!« Seine Stimme war tonlos, doch bis in die hinteren Reihen der Zuhörer vernehmbar.
Enttäuscht ließ der Gerichtsschreiber die Feder sinken.
Die Herren erhoben sich aus den Bänken, und die Büttel führten Alberto zu einem Steinblock aus blauem Basalt. Der Scharfrichter trat vor und stieß Alberto dreimal hart mit dem Rücken gegen den blauen Stein zum Zeichen der Anerkennung der Hochrichterlichen Gewalt des Erzbischofs. »Wir stoßen dich an den blauen Stein. Du kommst deinem Vater und Mutter nicht mehr heim!«, sprach er feierlich.
Die Büttel ergriffen Alberto und schleppten ihn zu dem schwarzen Henkerskarren, der wartend am Rande des Domhofs stand. Sie hievten ihn hinauf und sperrten ihn in den hölzernen Käfig, der darauf angebracht war. Der Scharfrichter stieg vorn auf den Karren, und während zwei Schöffen mit dem Schreiber voraus nach Melaten ritten, um dort alles für die Hinrichtung vorzubereiten, formierte sich auf dem Domhof die Prozession, die den Verurteilten zur Richtstätte vor den Toren der Stadt geleiten würde.
Voran ritt der Greve hoch zu Ross. Ihm folgten die buntgewandeten Gewaltrichterboten, dann scherte der Henkerskarren mit Alberto und dem Scharfrichter ein, an allen Seiten flankiert von den Bütteln.
In wildem Haufen drängelten die Schaulustigen hinterdrein, und auch der scharfe Wind, der ihnen eisige Regenschauer entgegenblies, als sie die Einfriedung des Domhofs verließen, konnte
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