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Die Tochter der Tibeterin

Die Tochter der Tibeterin

Titel: Die Tochter der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gefalteten Händen, und er schenkte uns ein lebhaftes Lächeln. Immer mehr Gäste ritten auf die Festwiese; sie kamen aus allen Himmelsrichtungen. Und was für prächtige Pferde sie hatten – mit silberbesetztem Geschirr, schön polierten Sätteln und Decken in satten Farben. Die Mähne der Pferde war geflochten, die Schweife waren mit bunten Tüchern verlängert, so dass sie bis zum Boden reichten.
    »Unsere Pferde sind einfach Prachtstücke«, sagte Atan. »Sie antworten auf den kleinsten Knie- oder Fingerdruck. Sobald wir den Schwerpunkt verlagern, reagieren sie prompt. Und manchmal wissen 273
    sie besser als wir, was zu tun ist. Und das ohne ein Zeichen von uns, ohne einen Wink. Wenn wir im Sattel sind, achtet das Pferd nicht auf unsere Bewegungen, egal, wie plötzlich und ungewohnt sie sein mögen. Das Pferd denkt für uns, mit uns. Zu Fuß ist der Khampa nur ein Mensch. Zu Pferd ist er ein Riese.«
    Ja, es gab sie noch, die Reiter wie aus einem Märchenbuch! Sie trugen leuchtend gelbe oder weiße Hemden aus Baumwollsatin, darüber Umhänge aus Fuchsfell, Marder oder Iltis, manchmal rot oder grün eingefärbt, und darüber, von den Schultern bis zu den Schenkeln, einen breiten Patronengürtel. Über ihren Schultern hingen lange Gewehre mit kunstvoll beschlagenen Kolben. Ihre dunkle Haut schimmerte in der Sonne, der breitkrempige Hut beschattete ihr Gesicht. Ihre Ausstaffierung sollte keinen Zweifel an ihrer Wichtigkeit zulassen. Tellergroße Amulettbehälter funkelten, und die alten, wunderschön verzierten Säbel steckten in seidenen Gürtelschärpen.
    Die Schatten vergangener Zeiten huschten beständig über ihre Gesichter. Das Volk der Könige. Keiner sprach es aus – heute nicht mehr –, aber jedermann wusste es in seinem Herzen. Die Khampas lebten nicht vom Vergessen, sondern vom Erinnern. Sie hatten das alles noch im Kopf. Bis in ihre Träume hinein. Und keiner sagte ihnen, sie sollten weniger träumen.
    Noch prächtiger geschmückt waren die Frauen, mit ihren schweren Silberketten, ihrem Kopfschmuck aus Bernstein und rohgeschliffenen Türkisen. Ihre Gesichter waren wunderbar voll, hell und samtig leuchtend wie Honig, solange Sonne und Wind, Alter und Müdigkeit ihre Haut nicht gezeichnet hatten. Ihre pflaumenroten Lippen waren voll und scharf geschnitten, ihre Brauen dunkelblau nachgezogen. Einige hatten sich, dem alten Schönheitsideal der Khammo folgend, winzige gelbe und weiße Tupfer auf Nasenwurzel, Kinn und Wangen gemalt. Sie stellten, wie mir Atan erklärte, Sternbilder dar. Ihre schwarz geschminkten Augen blickten klar und kühl, wenn nicht eine dicke Sonnenbrille sie verdeckte. Ihr Haar, der Tradition entsprechend in hundertacht Zöpfe geflochten, war mit Silberspangen und Perlen aus Blutkorallen geschmückt. Sie trugen üppige Gewänder aus feingesponnener Yakwolle, aufwendig bestickt, mit weiten Flügelärmeln. Die Amulettbehälter an ihren Gürteln blitzten, und die langen Ketten aus Münzen und Korallen klirrten bei jedem Schritt. Sie liebten Blusen in auffälligen Farben: dottergelb, kirschrot, aprikosenfarben, elfenbeinweiß. Sie hatten 274
    nicht das Zurückhaltende an sich, das Asiatinnen oft kennzeichnet.
    Keine Spur von Bescheidenheit, Scheu oder frostiger Arroganz. Ihr Schritt war kraftvoll, ihr Gelächter laut und fröhlich. Mädchen und Frauen tranken Chang oder Arak in großen Mengen, rauchten, scherzten oder saßen im Kreis und spielten Karten.
    Das Fest war voller Aufregung und Wiedersehensfreude. Große Teppiche wurden ausgebreitet, Körbe voller Gebäck und Schalen mit Sonnenblumenkernen herumgereicht. Der Lärmpegel war gewaltig; neben Verkaufsbuden und Kunsthandwerkständen, wo die Händler ihre Ware anpriesen, pfiffen und knatterten Lautsprecheranlagen, und aus sämtlichen Kassettenrekordern dröhnten die abenteuerlichsten Soundmischungen: tibetische Volksmusik und Salsa, chinesische Schnulzen, Tango und wilder Hip-Hop. Ich erkannte sogar einige Noten aus den »Vier Jahreszeiten«, aber bevor ich romantisch abtauchen konnte, flackerten Rapfetzen aus nächster Nähe an mein arg strapaziertes Trommelfell. Man hatte überall Teppiche ausgelegt, und darauf häuften sich Matratzen, Decken, Kissen und Federbetten in leuchtenden Farben. Kinder spielten zwischen Thermosflaschen, Plastiktüten mit Proviant und Utensilien, Campingkochern, Wasserflaschen, Satteldecken, verschiedenen Werkzeugen und Seilrollen, allen möglichen Teekesseln, Schüsseln und Tellern. Die Feuer wurden immer

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