Die Tochter der Tibeterin
wieder geschürt. Gerichte brutzelten auf Campingkochern, und die Düfte waren verlockend.
Und wo wir hinkamen, wurden wir mit Essen bewirtet, bis wir nicht mehr konnten.
»Das war schon immer so«, sagte Atan. »Unser Leben war hart.
Man darf kein Essen vergeuden; das, was übrig bleibt, bekommen die Armen.«
Spannung lag in der Luft. Feststimmung. Ich fühlte mich gut, beschwingt, fröhlich – aber irgendwie immer am Rande der Unruhe.
Ich durfte nicht vergessen, warum ich hier war. Das durfte ich auf keinen Fall.
»Was ist mit Kunsang, Atan? Wann wird sie da sein?«
Jedesmal, wenn ich ihren Namen aussprach, klopfte mein Herz schneller, es tat mir richtig weh, und ich kam außer Atem. Das macht die Höhenluft, redete ich mir ein.
»Bald«, sagte Atan. »Sie ist unterwegs.«
»Wann, meinst du, wird sie da sein?«
»Morgen, nehme ich an.«
»Aber wie finden wir sie in diesem Gedränge?«
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»Wir finden sie schon.«
Die Männer trafen sich in Gruppen zum traditionellen Sho -Spiel, bei dem Münzen um einen Kreis von Schneckenhäusern auf einer Ledermatte bewegt wurden. Die Männer bliesen über einen Würfel, um das Los günstig zu stimmen, schüttelten den hölzernen Becher mit beiden Händen, wobei sie glückbringende und – wie Atan gestand – derart unanständige Reime aufsagten, dass sie bei meinem Anblick verlegen den Mund zuklappten. Sie beschworen den Würfel, baten ihn um seine Gunst in dramatischen Tönen, bevor sie den Becher auf die Ledermatte stülpten und ihn mit theatralischer Miene hoben. Wer gewann, klatschte in die Hände und schrie triumphierend; der Verlierer schimpfte lautstark mit seinem Würfel.
Das Ganze wurde von gespielten Zornausbrüchen und etlichen Strafbieren begleitet. Einige waren schon am ersten Tag Changkrank, was so viel hieß wie betrunken.
Doch das Sho war ein wenig aus der Mode gekommen. Die jüngeren Männer tranken Bier aus Dosen und verbrachten viel Zeit, sich gegenseitig zu bewundern. Sie waren in der Tat unübersehbar.
Sie trugen breitkrampige, olivgrüne Hüte, das blauschwarze Haar frei wehend oder zu einem Zopf geflochten und mit einer roten Kordel, wie auch Atan sie trug, um den Kopf gewickelt. Ihre Tschuba war aus besticktem Brokat, darunter hatten sie Hemden aus weißer Seide an, das Zeichen von Wohlstand. Um ihre Handgelenke, neben der dicken Armbanduhr, waren Gebetsperlen aus Elfenbein gewickelt. Einige waren auf Motorrädern gekommen, chromblitzenden Billigmodellen aus China, Marke »Jianshe«, aber ich sah auch ein paar Hondas, die eine Menge Geld gekostet hatten.
Alle waren auf Hochglanz poliert, mit Satteldecken versehen, die Lenkstangen mit weißen und gelben Glücksschärpen umwickelt. Die Menge bewunderte sie in respektvollem Abstand. Die Besitzer taten sehr gleichmütig, standen in Gruppen beisammen, die Beine in bunt bestickten, kniehohen Schaftstiefeln fest in den Boden gestemmt, die eine Hand nach Cowboy-Art mit dem Daumen im Gürtel, die andere freihängend, gleich neben dem Säbel. Die Bergsonne hatte ihre Haut fast mahagonibraun gebrannt; trotz ihrer gelassenen Art erweckten sie den Eindruck einer nahezu tierhaften Kraft und Sicherheit, die in verblüffendem Gegensatz zu ihrem effekthaschenden Gehabe stand.
Sie hatten nichts Aggressives an sich, redeten mit sanfter Stimme, lachten verhalten, warfen dunkel-schillernde Blicke um sich.
Manchmal zeigten sie sich gegenseitig ihren Schmuck: 276
pflaumengroße Korallen, Türkise, die alt und wertvoll waren, Bernstein oder jene schwarz oder braun-weiß gesprenkelten Dsi-Steine, auch als »Augensteine« bekannt, die – der Legende zufolge –
ursprünglich Würmer waren. Die Männer trugen sie mit einem schwarzen Faden aus Yakhaar um den Hals und kokettierten besonders stolz mit ihnen. Zz-Steine umgab eine magische Aura und manche waren sehr wertvoll. Die jungen Männer steckten ihre brennende Zigarette in den Mundwinkel, griffen behutsam nach einem dieser schönen Steine, polierten sie lange am Hemdkragen, an der Gürtelschärpe oder rieben sie an den Nasenflügeln, damit sie das Hautfett noch glänzender machte. Dann steckten sie die Köpfe zusammen und unterhielten sich – offenbar über nichts anderes als den Wert der Steine. Dies, in Verbindung mit ihren betonten Macho-Posen, wirkte so komisch, dass ich nach einer Weile in Lachen ausbrach.
»Sag mal ehrlich, Atan, sind die alle schwul?«
Er blinzelte amüsiert.
»Der Schein trügt. Natürlich wollen auch Frauen gut aussehen,
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