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Die Tochter der Tibeterin

Die Tochter der Tibeterin

Titel: Die Tochter der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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neuen Brücke ziemlich eilig zu haben.«
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28. Kapitel

    I ch erwachte, tauchte langsam aus der Tiefe des Schlafes auf und hörte die Zeltbahnen flattern. Meine Finger tasteten über die Decken und Felle, in denen ich mit Atan geschlafen hatte. Ich war allein. Die aufgehende Sonne schimmerte golden. Von allen Seiten wurden Rufe und Stimmen laut. Das Lager erwachte. Schlaftrunken suchte ich meine Kleider zusammen; mein Haar war voller Sand. Ich erhob mich benommen und warf die Zeltplane zurück. Der Morgen glänzte wie ein klarer Edelstein. Ich erlebte, wie schon so oft, die Trunkenheit der reinen Luft, des leichten Atems, des weiten Horizontes. Der Wind wehte hoch über das Zelt hin, die fernen Berge glänzten dunstig und blau. Schon brannten die ersten Feuer, die Hirten in ihren leuchtend bunten Pullovern versorgten die Tiere.
    Kinder rannten übermütig herum. Atan hatte das Zelt etwas abseits aufgestellt, am Rande eines kleinen Waldes, der vom würzigen Duft wilder Erdbeeren erfüllt war. Rongpa, der schwarze Hengst, war neben dem Zelt angepflockt, wo er bedächtig graste. Als ich aus dem Zelt trat, warf er plötzlich den Kopf in den Nacken, stampfte mit den Hufen. Die Mähne und der Schweif flatterten in der Luft.
    Ich trat nahe an ihn heran, sprach dicht an seinen Nüstern.
    »Du bist ein schönes Pferd. Ja, wirklich, das schönste Pferd der Welt!«
    Es spitzte die großen Ohren; der Klang meiner Stimme schien ihm zu gefallen. Ein Wiehern, das eine Zustimmung sein mochte, erschütterte seine Flanken, übertönte das Zwitschern der Vögel.
    Da trat A tan aus dem Wald. Ich sah ihn kommen, in seiner leichten weißen Bluse schien er die Kälte nicht zu spüren. Sein schwarzes, noch nasses Haar war im Nacken zusammengebunden.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«
    »Im Wald ist eine Quelle. Ich habe dir frisches Wasser geholt.«
    Er leerte den tropfenden Wasserschlauch, den er über der Schulter trug, in eine große Schüssel aus Plastik und legte ein Stück Seife daneben. Sogar ein Handtuch war vorhanden.
    »Du denkst an alles.«
    »Vielleicht achtest du auf Dinge, an denen uns weniger liegt.«
    »Ein bisschen zimperlich, willst du sagen?«
    »Ein bisschen zimperlich, ja.«
    Er legte die Hand um meinen Nacken und zog mich an sich. Ich 284
    drückte mein Gesicht an seinen Hals. Seine Haut fühlte sich glatt und kühl an, wie eine Frucht. Ich dachte an diese Nacht, in der wir uns geliebt hatten, an den saphirdunklen Himmel über der Zeltöffnung, einen Himmel voller Sterne, so unglaublich vielen, funkelnd wie Eissplitter. Die Bilder und die Empfindungen waren noch gegenwärtig: Atans sehniger Körper, der mit dem meinen verschmolz; die langen, braunen Arme, die mich hielten; die harten Lippen; das schwerduftende Haar, das über mein Gesicht fiel. Ich hörte das leise Keuchen aus seinem Mund, spürte das Zittern seiner Haut, als wäre es die eigene. Mir war, als löste ich mich auf, als flösse ich davon wie Wasser, als versänke ich unter ihm in langsamen, gleichmäßigen Bewegungen. Seine Wärme staute sich tief in meinem Unterleib, bis zu den Hüften, wie ein mächtiger Pulsschlag. Mein Atem flog; die Erregung war wieder da, ich spürte, wie mein Unterleib leicht zuckte.
    »Könntest du dir vorstellen, hier eine Weile zu verbringen?«, fragte Atan nach einem Schweigen. »Ich meine, jährlich ein paar Wochen oder Monate, im Sommer?«
    Seine Frage brachte mich in die Gegenwart zurück. Ich machte mich von ihm los.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich sachlich. »Wie könnte ich es wissen?«
    Er antwortete ebenso sachlich:
    »Du bist Tibeterin, aber du hast einen Schweizer Pass. Das politische Klima hat sich vorübergehend beruhigt. Scherereien mit Ausländern werden peinlich vermieden. Außerdem bist du Ärztin.
    Ärzte bekommen leicht ein Visum. Und du hast ja selbst gesehen, dass wir Ärzte brauchen. Du solltest mal darüber nachdenken.«
    Ich ließ ein paar Atemzüge verstreichen, bevor ich bedächtig sagte:
    »Vielleicht könnte ich zeitweilig hier leben. Vielleicht, wenn sich es einrichten ließe…«
    »Gut«, erwiderte er, als hätte ich ihm ein Versprechen gegeben.
    Er wandte sich um, kauerte sich nieder und entfachte das Feuer.
    Ich stellte die Schüssel auf einen flachen Stein, entblößte meinen Oberkörper. Ich hatte aufgesprungene Lippen, einen schalen Geschmack im Mund, und mein Haar hing fettig über den Rücken.
    Die Luft war eiskalt. Fröstelnd beugte ich mich über die Schüssel, begann mich zu

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