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Die Tochter der Tibeterin

Die Tochter der Tibeterin

Titel: Die Tochter der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Situationen. Ich hatte Atan nicht gefragt, was er vorhatte, dachte mir jedoch, dass er gerissen genug war, kein übermäßiges Risiko einzugehen.
    Viel wurde nicht gesagt: Die Khampas tauschten leise ein paar Worte, stiegen auf und machten sich auf den Weg. Atan gab mir ein Zeichen, neben ihm zu reiten. Wir waren bereits im Tal und ritten das Flussufer entlang. Der grünschillernde Fluss teilte sich in drei Wasserfälle, murmelte und funkelte über glänzende Kiesel.
    Unterhalb des Wasserfalls lag mitten in den schäumenden Fluten ein großer Felsblock, in den das Mantra Om Mani Padme Hum eingeritzt war. An den Wänden der Bauernhäuser in rötlichen Erdfarben waren bereits Stapel von Brennholz aufgeschichtet, die bis über die Dächer reichten. Auf den Gipfeln lag noch Schnee, und die sinkende Sonne warf goldene Strahlen ins Tal. Einige Yaks standen riesengroß und dunkel auf einer Weide; scharf zeichneten sich ihre Schatten auf dem Talboden ab. An der Stelle, wo sich das Tal zur schmalen Schlucht verengte, schwang sich die unfertige, aber bereits rot beflaggte Brücke über die Stromschnellen. Etwas weiter, am anderen Ufer, versperrten Teermaschinen und Bagger die Straße nach Lithang. In den Staubwolken schwangen zerlumpte Tibeter 312
    Pickel und Schaufel; Männer und einige Frauen mit verschmierten Gesichtern saßen in kleinen Gruppen am Straßenrand und zerkleinerten Steine. An mehreren Stellen war die Straße mit diesen Steinen frisch aufgeschüttet worden. Als wir näher kamen, sah ich, dass Vorarbeiter und Aufseher ausnahmslos Chinesen und bewaffnet waren. Ich warf Atan einen betroffenen Blick zu. Er nickte.
    »Strafgefangene. Gewöhnliche Verbrecher zumeist. Aber auch politische Häftlinge. Man nimmt ihnen die Ketten ab, damit sie besser arbeiten.«
    Vor der Polizeikaserne standen Militärwagen, aber Soldaten waren keine zu sehen. Nur ein paar Offiziere saßen auf kleinen Schemeln, fächelten sich Luft zu und tranken Tee. Einige Reiter hoben den Arm zum Gruß. Ihre Geste war gleichgültig und gelassen.
    Die Chinesen grüßten zurück. Wir fielen nicht besonders auf; zu dem Fest kamen Tausende von Nomaden. Doch als wir die Polizeikaserne hinter uns ließen, tauschten die Männer halblaut ein paar Worte, und Atan sagte:
    »Etwas liegt in der Luft.«
    Noch blieb die Drohung unverständlich. Doch die Luft wurde stickiger. Und durchaus nicht wegen der Hitze.
    »Atan, was habt ihr für einen Plan?«, fragte ich leise.
    »Einen hundsmiserablen; wir schämen uns sehr. Aber jede Minute zählt. Ich habe den Abt durch einen Boten unterrichten lassen. Wir holen ihn für eine Zeremonie ab.«
    »Wird er zustimmen?«
    »Schwer zu sagen.«
    Eine ganze Weile behielten unsere Reittiere jenen leichten Trab bei, in dem die Pferde dieser Hochsteppen ganz natürlich laufen, wenn man ihnen die Zügel freigibt. Dann nahm der Verkehr zu; wir ritten durch Benzingeruch und Abgase. Wir erreichten öde, baumlose Vororte, ritten an Werkstätten und Tankstellen vorbei. Ich dachte, wir würden durch die Stadt reiten, aber nach einer Weile schwenkten die Khampas ab, lenkten ihre Reittiere über steile Wege und Schuttabladeplätze. Die Sonne sank tiefer; der Himmel glänzte wie stumpfes Blei, auf dem Boden funkelten Glasscherben. Das Kloster kam näher; die weißgetünchten Gebäudeteile am Berghang wirkten wie mit dem Felsen verwachsen. Die Reiter sprachen kaum. Eine Zeitlang waren die Atemzüge der Pferde, das gelegentliche Klicken eines Hufes gegen einen Stein die einzigen Geräusche, die sich in das ferne Brausen des Verkehrs mischten. Dann und wann konnten 313
    wir die Straße sehen; Lastwagen, Busse und Militärjeeps zogen Staubfahnen hinter sich her. Ihre Windschutzscheiben blinkten im Sonnenlicht. Plötzlich hielt Chokra, der die Führung übernommen hatte, unter einem vorspringenden Felsen scharf an und ließ die anderen herankommen. Vorsichtig ritt ich hinter Atan näher. Wir befanden uns im Schatten; auf der anderen Talseite brannte noch die Sonne. Gegen den leuchtenden Himmel erhoben sich dunkel die Umrisse des Klosters. An dieser Stelle schauten wir auf die Straße hinab. Eine große Anzahl Pilger waren unterwegs zum Kloster. Das Jaji war das größte aller Feste im Kham; seit jeher war es Brauch, dass die Nomaden ihre Opfergaben zur Klosterburg brachten: Käsewürfel, Buchweizen, geröstete Gerstenkörner, bunt gefärbte Kekse, Pfefferschoten, Räucherwerk oder Wolle. Sie kamen zu Fuß oder zu Pferd, mit dem Wagen oder mit dem

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