Die Tochter der Tryll Verborgen Band 1
mir, dass das hier früher Rhys’ Spielzimmer gewesen war. Später hatte man versucht, ein gemütliches Wohnzimmer für ihn daraus zu machen, aber er hielt sich fast nie hier auf.
Ich fläzte mich auf die Couch und starrte an die Decke. Finn setzte sich in einen Polstersessel, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß. Ein Stapel dicker Wälzer lag neben dem Sessel, und er begann, mir einen Crashkurs in Tryll-Geschichte zu geben.
Obwohl wir mythische Wesen waren, musste ich leider feststellen, dass Tryll-Geschichte auch nicht interessanter war als die Geschichte der Menschheit.
»W elche Rolle spielen Markis und Marksinna?«, prüfte Finn mich.
»K eine Ahnung. Keine«, erwiderte ich frech.
»W endy, du musst das lernen«, seufzte Finn. »A uf dem Ball musst du dich mit den Leuten unterhalten und darfst nicht ignorant wirken. Du kannst dich nicht mehr in eine Ecke verziehen und Mauerblümchen spielen.«
»I ch bin eine Prinzessin. Von Rechts wegen sollte ich machen dürfen, was ich will«, grummelte ich. Meine Beine baumelten über der Couchlehne und ich wippte mit den Füßen.
»W elche Rolle spielen Markis und Marksinna?«, wiederholte Finn.
»I n Förening, wo die Königin lebt, haben sie keine echte Macht, nehmen sich aber entsetzlich wichtig. In allen anderen Provinzen sind sie so eine Art Gouverneure. Und falls König oder Königin ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können, darf ein Markis als ihr Stellvertreter agieren.«
»A lles richtig, aber das mit der Macht würde ich an deiner Stelle nicht sagen.« Finn nickte und blätterte um. »W elche Rolle spielt der Kanzler?«
»D er Kanzler ist ein gewählter Minister, ungefähr so wie der britische Premierminister«, antwortete ich müde. »D er Monarch hat das letzte Wort und die größte Macht, aber der Kanzler fungiert als Berater und verleiht den nicht adligen Tryll eine Stimme in der Regierung.« Ich sah Finn an. »A ber eines verstehe ich nicht. Wir leben in Amerika, und dies ist kein souveräner Staat. Müssen wir auch amerikanische Gesetze befolgen?«
»T heoretisch schon, und zum größten Teil decken sich die Gesetze der Tryll mit den amerikanischen, obwohl wir viel mehr haben. Aber wir leben in Enklaven, ganz unter uns. Mit unseren Ressourcen– Bargeld und Überzeugungskraft– bringen wir die Regierungsbeamten dazu, uns in Ruhe unsere eigenen Angelegenheiten regeln zu lassen.«
»H m.« Ich wickelte mir eine Haarsträhne um den Finger und dachte nach. »D u weißt wirklich alles über die Tryll-Gesellschaft, richtig? Als du mit Garrett und Elora gesprochen hast, hatte ich jedenfalls den Eindruck.«
Sicher hätte er die Kroners leicht für sich gewinnen können, wenn er es versucht hätte. Er hatte es für seine Pflicht gehalten, sich in ihrer Gesellschaft zurückzunehmen, und deshalb hatte er geschwiegen. Aber er hatte so viel mehr Klasse als ich. Er war kühl und gelassen, intelligent, charmant und attraktiv. Und viel besser zum Thronerben geeignet.
»N ur ein Narr glaubt, alles zu wissen. Ein weiser Mann weiß, dass er unwissend ist«, gab Finn abwesend zurück, den Blick immer noch ins Buch gerichtet.
»D ie Antwort könnte auch aus einem Glückskeks stammen«, sagte ich lachend, und sogar er musste grinsen. »A ber ganz im Ernst, Finn. Das ergibt alles keinen Sinn. Du solltest den Thron erben, nicht ich. Ich bin total ignorant, aber du könntest morgen schon regieren.«
»I ch bin kein Herrscher.« Finn schüttelte den Kopf. »U nd du bist die Richtige für den Job. Ich habe nur eine lange Ausbildung hinter mir.«
»D as ist doch dämlich«, brummte ich. »D er Erbe sollte anhand seiner Fähigkeiten ausgewählt werden, nicht wegen seiner Abstammung.«
»S o ist es doch auch«, beharrte Finn. »D ie Fähigkeiten hängen nur eben eng mit der Abstammung zusammen.«
»W ie meinst du das?«, fragte ich. Er klappte sein Buch zu.
»D eine Überzeugungskraft? Die hast du von deiner Mutter geerbt«, erklärte Finn. »D ie Markis und Marksinna sind wegen ihrer Fähigkeiten so hoch gestellt, und sie vererben sie an ihre Kinder weiter. Gewöhnliche Tryll haben zwar oft Fähigkeiten, aber sie sind inzwischen nur noch sehr schwach ausgeprägt. Deine Mutter gehört zu den mächtigsten Königinnen seit langer Zeit, und alle hoffen, dass du die Linie weiter stärken wirst.«
»A ber ich kann doch fast gar nichts!« Ich setzte mich auf. »I ch habe nur ein bisschen Überzeugungskraft, und du hast gesagt, bei dir würde sie nicht
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