Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
Ich brauchte nicht aus der Höhlenöffnung hinauszusehen; dieser Anblick war in meinem Geist eingeprägt. Werfen wir nicht unsere eigenen Verbrecher weit hinter die neunte Welle, damit sie dort sterben, oder nach dem Willen der Götter an einem ungastlichen Strand an Land gespült werden? Und stammte nicht dieser Fremde, der hier zu meinen Füßen schlief, aus jenem Land hinter der neunten Welle, weit, weit dahinter? Er hatte von Booten gesprochen und das Land verflucht, das ihm keine Antworten gab. Er war auf dem Weg nach Hause. Kälte durchdrang mich, und mir lief ein Schauder über den Rücken. Er war auf dem Weg nach Hause, und er würde mich mitnehmen, bis ich ihm sagte, was er unbedingt wissen wollte. Ich verstand mit einer Sicherheit, die wie ein Stein auf meinem Herzen lag, dass auch ich hinter die neunte Welle reisen würde und meine Brüder zurücklassen musste.
    Du könntest jetzt fliehen, sagte meine innere Stimme. Du könntest gehen, während er schläft, du könntest ein paar Dinge stehlen, in den Wald zurückkehren und dort wieder von vorn beginnen. Er wird noch eine Weile nicht aufwachen, und wenn er erwacht, wird er langsam sein. So hörte ich mich selbst, und ich antwortete mir. Ich kann ihn nicht allein lassen. Sein Bein ist verletzt, und seine Feinde sind in der Nähe. Ich werde ihn nicht allein lassen.
    In seiner Tasche waren noch ein paar mehr Äpfel, und ich nahm einen und aß ihn, Kerne und alles. Ich trank einen Schluck Wasser aus dem Schlauch; es war kalt und süß. Und dann hörte ich die Stimmen. Von tief drinnen aus der Höhle, leise, lockend, hallten sie aus der Dunkelheit der großen Kammern. Komm herunter. Komm herunter, Sorcha. Und Lichter flackerten golden und silbern, lockende Lichter, die mich baten zu folgen.
    Ich musste einfach hingehen, weiter und weiter nach unten, wo die Luft kühl und feucht war und das Gewicht der Erde schwer über mir hing. Drunten, wo die Baumwurzeln über der Höhlendecke hingen, wo kristallklares Wasser tröpfelte und sich unter Steinsäulen sammelte. Die Lichter lockten, Fackeln, Laternen, immer noch eine Ecke weiter. Ich stolperte und glaubte, Lachen zu hören. Und Musik, die schwachen Klänge einer Harfe, einer Fiedel und einer Flöte, die eine Girlande von Tönen um eine alte Melodie webte. Selbst so weit im Osten, selbst hier am Meeresufer hatte das Feenvolk also seine Behausungen. Denn ich bezweifelte nicht, dass diese Stelle, die wir zufällig gefunden hatten, ein Tor in diese Welt darstellte, wie sie in vielen alten Geschichten beschrieben wurden, eines jener Portale zwischen unserer Welt und der ihren. An einen solchen Ort fand man sie häufig genug, eine Höhle, einen Riss, eine Öffnung in der Erde, wo die beiden Bereiche einander für kurze Zeit berührten.
    Endlich kam ich in eine Kammer, die noch größer und gewaltiger war als alle anderen zuvor, wo die Säulen aus lebendem Stein vom glatten Boden bis zur gewölbten Decke reichten und sich in einem langen, stillen Teich spiegelten. Dort waren sie, ihr Lachen und ihr Gesang hörte abrupt auf, als ich ins Licht ihrer Fackeln trat. Viele Blicke waren auf mich gerichtet. Ich sah ein Gesicht, das ich kannte, bleich und schön mit dunklen Augen und Haar wie schwarzer Seide. Sie nickte ernst. Aber um sie herum waren viele von ihrer Art, alle größer als Menschen, alle gekleidet in schimmernde Stoffe, in Gewänder aus Gaze wie Schmetterlingsflügel oder schwarz und glänzend wie das Gefieder von Raben. Sie waren gekrönt mit seltsamem Schmuck aus Federn und Muscheln und Seealgen, aus Nüssen und Beeren und Blättern. Ihre Augen waren merkwürdig wissend, suchend; ihre Gesichter gleichzeitig wunderbar und schrecklich. Sie beobachteten mich schweigend. Dann schloss sich der Fackelkreis ein wenig, und der hochgewachsenste unter den Männern trat vor.
    »Nun gut«, sagte er und sah mich abschätzend an. »Du bist also endlich hier. Tritt vor und zeige dich.« Ich blickte zu ihm auf. Ich musste weit nach oben schauen. Sein Gesicht war sehr hell, schimmernder, als es von den Fackeln möglich war; ein Licht von innen schien seine Haut in Gold und Silber zu verwandeln. Sein Haar stand ihm vom Gesicht ab, als wäre er von Flammen gekrönt, es war leuchtend rot, außer dort, wo Frost es an den Schläfen und an seinem Vollbart berührt hatte. Seine Augen hatten keine und dennoch jede Farbe. Er trug ein schlichtes, weißes Gewand, aber wenn das Licht darauf fiel, schimmerte der Stoff wie von vielen winzigen

Weitere Kostenlose Bücher