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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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ich ihn finden?«
    Aber die Fackeln begannen zu verglühen und das schimmernde Volk mit ihnen, und die Spuren von Lachen und raschelnder Seide und die entfernten Harfenklänge schienen sich aufzulösen, flüchtig wie der Duft einer Herbstblüte.
    Als alle anderen weg waren, stand die Herrin immer noch vor mir.
    »Nimm dies, um dir den Weg zu beleuchten, Tochter des Waldes«, sagte sie. »Du hast mir gesagt, du wärst es müde, stark zu sein. Vielleicht wirst du jetzt nicht mehr so stark sein müssen.« Sie legte eine kleine, runde, nach Kräutern duftende Kerze in meine offene Hand. Dann wandte sie sich dem Briten zu.
    »Du hast sie mit deinen gedankenlosen Worten verletzt«, sagte sie, und ihr Blick hatte jede Wärme verloren. »Sorge dafür, dass sie nicht wieder verletzt wird.« Und bevor er noch Luft holen konnte, war auch sie verschwunden.
    In vollkommenem Schweigen kehrten wir nach oben zurück. Wir hatten uns die Hände gereicht, um uns im Dunkeln nicht zu verlieren, das nur von dem trüben, flackernden Kerzenlicht erhellt wurde. Ich hielt das winzige Licht in meiner Handfläche; es roch nach Rosmarin, nach Mädesüß, nach Kümmel. Wie das Teilen eines Apfels war auch das voll verborgener Bedeutung. Wieder fragte ich mich, was für ein Spiel das Feenvolk mit mir spielte.
    Oben in der äußeren Höhle war es eisig kalt, denn von Osten her blies ein scharfer Wind. Unsere Kleidung war immer noch feucht vom Regen. Es würde eine unbequeme Nacht werden. Nicht, dass ich hätte schlafen können. In meinem Kopf drehten sich die Dinge immer wieder hin und her. Ich legte mich auf meiner Seite der Höhle nieder, schloss die Augen, aber ich konnte nicht aufhören zu zittern. Und ich dachte: sein Bruder! Ich hätte es sehen sollen, ich hätte es erkennen müssen! Kein Wunder, dass er so störrisch weiter sein Ziel verfolgt. Und dann dachte ich: Lord Hugh – Lord Hugh von irgendwo. Woher kannten sie seinen Namen? Er kam mir ganz bestimmt nicht wie ein Lord von irgendwo vor, mit seinem kurz geschnittenen Haar, seinen abgetragenen Kleidern und so, wie seine Freunde mit ihm sprachen, als wäre er ihresgleichen. Andererseits musste ich daran denken, wie mein Vater seinen Männern aufgetragen hatte, dafür zu sorgen, dass Simon am Leben blieb. Er war ein wichtiger Gefangener gewesen; ein Gefangener, der vielleicht als Geisel Wert gehabt hätte. Also war sein Bruder vielleicht tatsächlich Lord Hugh von irgendwo. Ich fand, ›Roter‹ passte besser zu ihm. Bei der Herrin, es war kalt! Ich wünschte, es würde endlich Morgen werden; aber mein Geist wich auch vor den Problemen des nächsten Tages zurück.
    »Du zitterst«, sagte der Brite von der anderen Seite der Höhle. »Du solltest lieber herkommen und dich zu mir legen. Der Umhang kann uns beide wärmen.« Aber ich schüttelte den Kopf. Nach dem, was mit mir geschehen war, glaubte ich nicht, jemals wieder neben einem Mann liegen zu können, nicht einmal, um zu schlafen. Und ich vertraute ihm nicht, nicht seinen kalten Augen und nicht seinem Schweigen.
    »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte er. »Und es wäre erheblich wärmer.«
    Aber ich schlang die Arme um die Brust, zog meine Knie an den Bauch, machte mich so klein wie möglich. Ich starrte die Kerze an; sie brannte immer noch winzig und golden zwischen uns. Eine Weile herrschte Schweigen.
    »Mach, was du willst«, sagte der Rote. Er lag auf dem Rücken, starrte zur bewölkten Höhlendecke hinauf, und das Kerzenlicht flackerte auf seiner geraden Nase, seinem entschlossenen Kinn, seinem grimmigen, festen Mund. Hin und wieder schlief ich einige Zeit ein, hin und wieder träumte ich den Fetzen eines Alptraums mit Fragmenten schmerzlicher Erinnerungen und Visionen einer unvorstellbaren Zukunft. Und jedes Mal, wenn ich erwachte, sah ich sein Gesicht bleich im Mondlicht und die Augen weit offen. Aber einmal saß er aufrecht und starrte zur Höhlenöffnung. Als ich hinschaute, saß dort auf einem dunklen Zweig, der sich über die Öffnung streckte, eine weiße Eule und putzte sich hingebungsvoll das Gefieder. Hin und wieder betrachtete sie uns mit ihren schimmernden, uralten Augen. Ich hielt den Atem an, beobachtete sie, und als sie endlich die großen Flügel ausbreitete und aufflog, spürte ich, dass etwas zu Ende ging, eine Weiterbewegung, einen Abschied, der von keinem Verbrennen magischer Kräuter, von keiner Einmischung aus der Menschen- oder Geisterwelt aufgehalten werden konnte. Es war so unvermeidlich wie

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