Die Tochter der Wälder
mich, wie viel er ihnen noch durchgehen ließ, bevor er beschloss ihnen zu sagen, dass ich ihre Witze und Flüche verstand. Davon einmal abgesehen, hielten sie mir abwechselnd den Kopf, wischten mir das Gesicht ab und schützten mich vor dem Wind. Die Reise schien ewig zu dauern, und ich schwor, dass mein Heimweg das eine und letzte Mal sein würde, dass ich mich wieder aufs Wasser begab. Mir war so elend, dass ich kaum an mehr als an meine aufgewühlten Gedärme und an meinen schmerzenden Kopf denken konnte. Und so glitt meine Heimat davon, und ich spürte den Trennungsschmerz kaum.
Endlich hörte das Schaukeln auf, und das Boot lag still. Es dämmerte, und ich hörte die Möwen rufen. Die Männer sprachen leise. Nordmänner, sagten sie, und still jetzt. Dann wurde ich aus dem Boot gehoben und in den Schutz einer flachen Höhle getragen, kaum mehr als ein Felssims, unter dem der Wind etwas weniger beißend war. Ich lag dort, in meinen Umhang gewickelt, und schauderte. Ich hatte nicht einmal die Kraft, mich im letzten Tageslicht umzusehen, um herauszufinden, wo wir uns befanden.
»Kein Feuer«, sagte der Rote. »John, du übernimmst die erste Wache. Dann weckst du mich. Wir müssen uns vor der Morgendämmerung wieder davonmachen; je weniger Aufmerksamkeit wir hier erregen, desto besser. Diese Inseln bieten sicheren Ankerplatz, aber sobald wir wieder im offenen Wasser sind, sind wir leichte Beute für die Dänen.«
Ich verlor alle Hoffnung. In der Morgendämmerung würde es also weitergehen. Dies war nur ein Übergangslager, und wir mussten weitersegeln, auf und ab, auf und ab …
»Es geht dem Mädchen nicht gut«, sagte John. »Du solltest sie zumindest dazu bringen, etwas zu trinken, wenn sie die Reise zu Ende führen soll.«
Der Rote antwortete nicht, aber einige Zeit später wurde ein Becher Wasser neben mich gestellt. Ich griff danach und trank, denn ich wusste, was gut für mich war. Aber ich fror, und mein ganzer Körper war verkrampft und schmerzte. Ich setzte mich und sah mich um.
Der helle Sand und die spitzen Felsen ringsumher waren in kühles Mondlicht getaucht. Wir waren ziemlich nah am Wasser, denn der Strand dieser dürftigen Zuflucht war schmal; und ich glaubte, über dem sanften Flüstern der kleinen Wellen, die heranrollten und sich wieder zurückzogen, die tiefen, hohlen Stimmen seltsamer Geschöpfe zu hören, weit draußen im Dunkeln, die einander zuriefen. Dort, wo die Felsen ins Wasser übergingen, stand John und spähte aufs Meer hinaus.
»Hier.« Die anderen beiden, Ben und der Rote, saßen in meiner Nähe, mit dem Rücken gegen die Felswand, und aßen. Der Bootsmann schien zu schlafen. Nun bot Ben mir ein Stück Trockenfleisch an, und ich schauderte.
»Sie isst Äpfel«, meinte der Rote. »Versuch es damit.«
Mein Magen hatte sich wieder ein wenig beruhigt, und mir wurde plötzlich klar, wie hungrig ich war. Er schnitt den Apfel ordentlich auf und reichte ihn mir Stück für Stück, bis alles weg war.
»Gut«, sagte er zustimmend. »Und jetzt steh auf und geh ein paar Schritte, um die Krämpfe aus den Beinen zu kriegen, denn morgen steht uns eine weitere Seereise bevor. Aber sei leise. Wir dürfen nichts riskieren.«
Ich ging über den Sand und streckte meine schmerzenden Beine, spähte hinaus aufs Wasser und versuchte zu erkennen, was dahinter lag. Aber es war Nacht, und ich war nicht sicher, ob ich Land entdecken konnte oder mir einfach nur wünschte, es wäre dort. Später schlief ich trotz der Kälte ein, und dann dämmerte der Morgen, und es war wieder Zeit weiterzureisen.
Ich hörte, wie der Rote den Bootsmann anwies, direkt auf das Kloster zuzuhalten. Ich hatte die Männer von Pferden reden hören und wie rasch sie nach Hause reiten würden und dass sie Essen und Wein und eine warme Feuerstelle erwarteten. Und dann warf ich einen Blick zurück zu der Insel, wo wir Schutz gesucht hatten, und begriff, was es war. Das Wasser war ruhig, und die Morgendämmerung färbte es perlgrau und rosa. Im Norden befand sich eine große Insel; flach, bewaldet und mit Zeichen menschlicher Besiedlung, aber das war nicht der Ort, an dem wir gelandet waren.
»Wir gehen dort nicht an Land«, sagte der Rote, der mich beobachtet hatte. »Wenn man in einer dieser Buchten landet, ist es sehr wahrscheinlich, einem Ostmann oder Dänen zu begegnen. Deshalb benutzen wir die kleine Insel.«
Ich hatte es zuvor nicht begriffen. Ich war zu müde und krank gewesen, um nachzudenken. Aber dort hinter uns,
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