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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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worum ich dich bitte oder nicht. Denke daran, wenn du diese Hemden genäht hast, musst du sie über die Schwanenhälse ziehen, alle sechs, einen nach dem anderen, und wenn du geschwiegen hast, werden deine Brüder wieder zu Menschen werden.«
    Es rauschte von einem plötzlichen Wind in den Büschen, und innerhalb von einem Augenblick war sie verschwunden.
    ***
    Ich hatte schon öfter Tote gesehen, meine Arbeit hatte das unvermeidlich werden lassen. Aber noch nie zuvor jemanden, der mir nahe gestanden hatte. Vater Brien lag auf dem Höhlenboden, wie er gestürzt war. Es war keine Zeit zum Trauern. Hätte ich die Zeit gehabt, dann hätte ich vielleicht geweint und vielleicht herausgefunden, woran er gestorben war. Vielleicht hatte es natürliche Ursachen gehabt, ein Herzkrampf oder ein Überfluss von üblen Körpersäften im Blut. Es konnte auch Gift gewesen sein, oder ein Daumen, der kundig am Hals angedrückt wurde. Ich schloss seine blicklosen Augen und berührte seine Wange. Was immer geschehen war, seine Miene zeigte nun die Ruhe von jemandem, der sein Schicksal akzeptiert hat. Er war eins mit sich selbst und dem großen Rad des Seins. Es heißt, dass der Geist den Körper erst am dritten Morgen nach dem Tod vollständig verlässt. Mein alter Freund war noch nicht so lange weg, aber sein inneres Selbst war davongegangen. Ich schob ihm das Holzkreuz in die Hände und hatte die Worte eines christlichen Gebets im Kopf, aber ich sagte nichts. Wer wusste, wohin sein Geist fliegen würde? Er war immer beiden Wegen gegenüber offen gewesen; im Tod würden sich ihm viele Tore öffnen.
    Ich wollte ihn nicht allein lassen, selbst nicht diese leere Hülse, ohne etwas zu tun. Man hätte ihn verbrennen sollen, aber ein Feuer zu entzünden hätte dazu geführt, dass ich entdeckt wurde. Außerdem musste ich packen und die Höhle verlassen, solange noch Tag war. Es war noch Zeit genug, die Blätter von Raute und Gänsefingerkraut und Eisenhut über ihn zu streuen. Linn wartete draußen; sie wollte nicht hereinkommen. Ich weinte nicht um ihn. Stattdessen empfand ich eine kalte Zielstrebigkeit. Die Trauer und die Leere waren immer noch da. Aber ich war in der Lage, mich auf das zu konzentrieren, was getan werden musste, und ich machte mich rasch an das, was notwendig war.
    Mehr als einmal segnete ich den guten Vater für seinen Sinn fürs Praktische. Sein altes Pferd war dort, angebunden unter den Bäumen. Weil ich schnell und verborgen reisen musste, würde ich den Wagen nicht nehmen können, aber das Tier konnte eine Last tragen und mir auf diese Weise helfen. Denn ich zweifelte nicht daran, dass ich nun eine Zeit lang allein leben und für mich selbst sorgen musste. Hätte ich damals gewusst, wie lange es dauern würde, hätte mich der Mut vielleicht verlassen. Sechs Hemden, dachte ich, das könnte zumindest bis zum Mittsommer dauern. Und während dieser Zeit würde ich niemandem begegnen, also würde ich Lebensmittel und Pflanzensamen und Medizin brauchen und alles, was notwendig war, um Feuer zu machen, zu nähen, zu spinnen und zu weben. Diesen Teil hatte Vater Brien nicht vorausgesehen, aber dennoch gut vorbereitet, weil er erwartet hatte, mich und meinen Bruder für eine Reise über den Wald hinaus zu versorgen. Ich hatte mein eigenes Bündel am Seeufer liegen gelassen, als ich geflohen war. Ich würde keine Kleider, keine Salben und Arzneien haben, und auch nicht die Reste meines Gartens, die Finbar für mich gesammelt hatte. Ich steckte die Hand in die Tasche meines Kleides. Das kleine, glatte Stück Holz mit seinen geschnitzten Symbolen war noch dort.
    Vater Brien bewahrte seine Vorräte hinten in der Hütte auf, und ich nahm alles, was nützlich sein könnte. Einen Sack Gerstenmehl, einen Sack getrocknete Bohnen, einen Tiegel Honig. Es war bereits kühl geworden. Ich nahm mir einen alten Umhang und ein Hemd. Simons Stiefel waren immer noch da, und ich nahm sie ebenfalls. Ein scharfes Messer, eine Sichel, einen Kochtopf. Es würde schwierig werden, die Hündin zu füttern. Ich vertraute darauf, dass sie jagen könnte. Vater Brien hatte keine Spindel und keinen Webrahmen. Aber selbst die Kleidung eines heiligen Vaters muss manchmal geflickt werden, also fand ich Knochennadeln und eine Rolle Garn, und diese steckte ich in den kleinen Rucksack. Eine Wasserflasche, einen Spaten. Das Pferd betrachtete mich ein wenig gequält und zuckte mit den Ohren. Ich legte ein paar aufgerollte Decken oben auf das Gepäck und band alles

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