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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Kreis die Hände gereicht, schwiegen und gaben einander Kraft und Liebe weiter. Finbar stand zwischen Conor und mir; er ließ zu, dass wir seine Hände nahmen, aber sie waren immer noch eiskalt, als könnte sie nichts wieder wärmen. Vor dem ersten wirklichen Morgengrauen bat Conor mich, in die Höhle zurückzukehren, denn er meinte, es sei besser, wenn ich nicht zusähe, wie sie gingen. Einer nach dem anderen umarmten sie mich; Conor als Erster, dann die anderen, bis nur noch Finbar übrig war. Ich dachte schon, er würde ohne ein Wort gehen; aber er berührte meine Wange, und einen Moment lang ließ er zu, dass ich seine Gedanken erkannte.
    Pass auf dich auf, Sorcha, bis zum nächsten Mal. Ich bin immer noch für dich da.
    Die Vogelstimmen wurden lauter. Es war wie an jenem anderen Morgen, der Nebel hob sich vom See und nahm sie mit sich. Es war plötzlich zu viel, als dass ich es ertragen konnte, und ich spürte, wie meine Lippen zitterten und mir Tränen in die Augen traten.
    »Geh wieder hinein, kleine Eule«, sagte Conor sanft, und seine Stimme kam zu mir wie durch einen langen, schmalen Tunnel.
    »Bis zum nächsten Mal«, sagte Cormack, oder vielleicht war es auch ein anderer, und dann dämmerte der Morgen wirklich. Wind kam auf, das Wasser wirbelte, und ich hörte Flügelschlagen und rannte tränenblind in meine Höhle und lag dort weinend, denn sie zu verlieren war nun nicht einfacher als beim letzten Mal, und ich wollte nicht sehen oder mir auch nur vorstellen, wie sie wieder zu wilden Tieren wurden.
    Draußen stieß Linn ein schreckliches Heulen aus, das durch den Wald hallte und über das Wasser und in den rosafarbenen und blauen Himmel, an dem das Morgenrot zum Tag wurde.

KAPITEL 6
    Nachdem ich dort so lange gelebt hatte, begann ich mich als ein Teil des Waldes zu fühlen. Es war wie eine der alten Geschichten, vielleicht die Geschichte eines jungen Mädchens, das grausam von seiner Familie im Stich gelassen wurde und das imstande ist, mit Vögeln, Fischen und Raben, Lachsen und Hirschen zu sprechen. Das hätte mir gefallen. Leider bewirkte die Gegenwart der ununterbrochen hungrigen Linn, dass die wilden Tiere einen großen Bogen um uns machten. Es gab eine Familie von Igeln, die, nachdem es wärmer geworden war, in der Abenddämmerung zur Höhle kam, und wann immer ich ein Bröckchen Essen übrig hatte, legte ich es auf einen glatten Stein unters Gebüsch und hielt Linn drinnen, bis die Igel sich wieder ins Unterholz davongemacht hatten.
    Die wechselnden Stimmungen des Waldes drangen tief in mein Wesen ein. Als die Nächte länger wurden, als Beeren an den Sträuchern reiften und die Nüsse schwer an den Bäumen hingen, machte auch ich eine Veränderung durch. Ich war immer klein und mager gewesen und hatte mich nur von kalten Mahlzeiten ernährt. Dennoch, in jenem Herbst wurde mein Körper von dem eines Kindes zu dem einer Frau, und ich begann zu bluten. Das hätte eigentlich Grund für eine Art Feier sein sollen, aber ich empfand es eigentlich nur als Unbequemlichkeit, mein ganzer Wille, meine ganze Energie war darauf konzentriert, Mieren zu sammeln und meine sechs Hemden zu weben und zu spinnen. Dennoch nahm ich mir in der ersten Nacht nach dem Blut Zeit, mich im Mondlicht zu baden, und dann trank ich Rosmarintee gegen Krämpfe und saß unter den Sternen und lauschte den Eulen und der Stille. In jener Nacht hatte ich das Gefühl, dass die Herrin des Waldes sehr nahe war, und ich spürte rings um mich her eine tiefe Verzauberung.
    Es wurde notwendig, mich weiter von der Höhle zu entfernen, um mehr Mieren zu suchen, denn der Nachschub des brüchigen, dornigen Fadens wurde knapper. Sechs Rechtecke des gewebten Stoffes hatten genügt, ein grobes Hemd zu fertigen, und ich hatte mit dem zweiten begonnen, aber ich hatte bestenfalls noch Faden genug für einen Ärmel, nicht für mehr. Ich nahm einen Sack und ein scharfes Messer mit und suchte nach den Flecken fedrigen Graus, die sich in den Waldlichtungen fanden, wo das Sonnenlicht stellenweise die herbstlichen Wipfel durchdrang. Diese Pflanze liebte Feuchtigkeit und wuchs nahe den Ufern kleiner Bäche. Es war eine Zeit der Ernte, und oft hatte ich das Glück, auch ein Bündel Nüsse und Beeren mitbringen zu können.
    Ich erforschte die vergessenen Pfade und dunklen Schluchten des Waldes, wo sich Finbar vielleicht aufgehalten hatte, wenn er tagelang verschwunden gewesen war und bei seiner Rückkehr eine entfernte Vision vor Augen gehabt hatte, die niemand

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