Die Tochter der Wälder
keine Energie haben für Sorgen oder Spekulationen. Morgen würde ich losziehen und genug Mieren für zwei ganze Hemden sammeln. Und ich würde Tag und Nacht, Nacht und Tag arbeiten, bis ich fertig war. Kein Feind würde mich mehr aufhalten. Ich war die Tochter des Waldes, und wenn auch mein Schritt auf dem Weg von Zeit zu Zeit ins Stocken geriet, führte dieser Weg zumindest geradeaus ins Dunkel. Und vielleicht war ich ja nicht ganz allein.
Als sie das Zimmer verließen, sprach Lady Anne leise auf ihren Sohn ein. Ihre Worte waren nicht für meine Ohren bestimmt, aber ich hörte sie, denn in meiner Verzweiflung fiel es mir nicht ein, mich höflich von meinem Platz direkt hinter der Tür zu entfernen.
»Sag mir eins. Nur eins. Was soll dieses Mädchen in unserem Haushalt, nachdem du verheiratet bist? Glaubst du, dass deine Frau sie hier auch nur einen Augenblick länger tolerieren wird? Bei all dem, was die Leute über … über dich und sie sagen?«
»Darin sehe ich kein Problem«, sagte der Rote, und sein Tonfall war zerstreut, als achte er kaum auf ihre Worte. »Wieso sollte sich etwas verändern?«
Einen Augenblick lang verlor Lady Anne die Beherrschung. »Also wirklich, Hugh! Manchmal bringst du mich zur Verzweiflung! Kannst du so blind sein? Ich wünschte, du könntest einen Schritt beiseite treten und dich einen Augenblick lang so betrachten. Denn du sprichst mit ihr wie mit keiner anderen. Du sprichst mit ihr, als wäre sie – als wäre sie ein Teil von dir. Es ist Zeit für dich, aus diesem Traum aufzuwachen. Ich fürchte um deine Sicherheit, um uns alle. Das Mädchen muss gehen.«
Ich stand in dem langen Zimmer und wünschte mir, sie würde sich daran erinnern, dass ich dort war, und aufhören. Ich hörte die Stimme des Roten, sehr leise, sehr beherrscht.
»Wann hätte ich jemals eine schlechte Entscheidung getroffen, Mutter? Wann habe ich meine Urteilskraft je trüben lassen?«
Sie antwortete eine Weile lang nicht, und ich dachte schon, sie wären vielleicht weg. Aber als ich mich nach draußen wagte, standen sie immer noch da, Lady Anne sah ihren Sohn an, auf ihrer Miene kämpfte Liebe mit Zorn, und der Rote starrte mit ausdruckslosem Gesicht geradeaus.
»Das ist etwas anderes«, war alles, was Lady Anne schließlich herausbrachte. Dann schickte sie mich nach unten, gab mir etwas zu essen und zu trinken und war die Freundlichkeit selbst, denn sie verstand, was es bedeutete, eine Pflicht zu haben, obwohl ihre Blicke von anderen Dingen sprachen. Sie hatte Angst, aber ich wusste nicht, wovor.
Der nächste Tag begann gut. Obwohl mich der Verlust niederdrückte, war ich entschlossen, weiter meinen Weg zu gehen, und verbot mir, über das nachzudenken, was hätte sein können. John erschien recht früh mit seinem eigenen grauen Pferd und einer kleineren Stute für mich. Es waren noch zwei andere Männer dabei. Vielleicht hatte der Rote auf die Bedrohung ein klein wenig überreagiert. Ich war froh über die Gelegenheit zu reiten, statt zuvor wie ein Kartoffelsack mitgeschleppt zu werden. Die Stute war sanftmütig, aber flink, und wir erreichten den kleinen Bach, an dem die Mieren wuchsen, bevor der Morgen zu weit fortgeschritten war.
Ich brauchte John die Regeln nicht zu erklären. Er stellte einen Mann als Wache am Hügel auf, den anderen schickte er an den Rand der Lichtung. Er selbst setzte sich auf die Felsen in der Nähe und ließ mich arbeiten. Margery hatte ihm wohl davon erzählt, denn er schien zu verstehen, dass ich alles ganz allein tun musste, obwohl ich sehen konnte, wie sehr es ihn quälte, zuzuschauen. Es war warm, und es gab viele Bienen und Schwalben und kleine Insekten. Ich erinnere mich genau daran, wie dieser Tag roch, denn die Luft hatte die Süße der ersten Weißdornblüten und den berauschenden Duft wilder Rosen in erster Blüte. Nahe dem Wasser kämpften sich ein paar wilde Veilchen von den Mieren frei und reckten ihre winzigen, tapferen Gesichter ins Licht. Ich schnitt die Pflanzen, die ihren Wuchs hemmten, so dass sie eine Jahreszeit der Sonne genießen konnten.
Ich wurde müde, und John brachte mich dazu, eine Pause einzulegen und etwas aus einer Flasche zu trinken, die er in der Satteltasche hatte, und Brot und Käse zu essen. Er rief die Männer zu sich, teilte die Ration aus, schickte sie wieder weg. Keiner hatte etwas zu berichten. Er sah mir zu, wie ich meine kleine Mahlzeit beendete, ein müdes Lächeln auf den Lippen.
»Gut«, sagte er. »Du strengst dich zu sehr
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