Die Tochter der Wanderhure
aber es ist etwas Schreckliches vorgefallen«, sprach er den Brandenburger an.
Albrecht Achilles von Hohenzollern, der eben noch mit Trudi getändelt hatte, blickte unwillig auf. »Was ist denn los?«
»Ein Mann ist ermordet worden.«
»Ein Mord? Aber wie konnte das geschehen?« Der Brandenburger rief es laut genug, dass es selbst in Trudis bereits arg benebelte Sinne drang. Sie kniff die Augen zusammen, sah, wie die Blicke des Fuchsheimers zwischen ihr und ihrer Mutter hin- und herwanderten, und fühlte, wie eine eisige Hand nach ihrem Herzen griff.
»Besitzt Ihr die Halsgerichtsbarkeit, oder müsst Ihr einen der umliegenden Vögte holen?«, fragte der Markgraf den Fuchsheimer.
Der hob unschlüssig die Hände. »Ich besitze sie, aber nur aus alter Tradition, und da es keine Urkunde gibt, macht der Bischof von Würzburg mir dieses Recht streitig.«
»Dann werdet Ihr wohl den nächsten Würzburger Vogt holen müssen.«
»Es sind einige der Herren anwesend«, wandte Magnus von Henneberg ein, der das Privileg erhalten hatte, ebenfalls an der Tafel des Markgrafen zu sitzen.
»Euer Bruder vielleicht, der nicht weiter denken kann, als seine Nasenspitze reicht?«, fuhr Trudi ihn an. Ihre Stimme, die schon einen schläfrigen Ton angenommen hatte, klang nun wieder klar und scharf.
Graf Magnus ignorierte diese Bemerkung und nickte dem Fuchsheimer herablassend zu. »Als höchstrangiger weltlicher Vertreter meines Herrn werde ich die Sache in die Hand nehmen. Zeigt mir den Toten und seht zu, ob Ihr Zeugen für den Mord auftreiben könnt.«
»Ein Küchenjunge hat den Leichnam im Gemüsegarten gefunden. Aber niemand hat die Tat gesehen, denn man kann höchstens von den Zinnen in den Garten hinunterblicken, und das auch nur, wenn man sich sehr weit vorbeugt. Oh, Gott im Himmel! Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, während meine Tochter im Brautbett liegt? Das ist ein sehr böses Omen.«
Albrecht Achilles winkte ab. »Solche Dinge geschehen meistens dann, wenn man sie am wenigsten brauchen kann. Kommt mit!«
Der Ansbacher war nicht willens, hinter einem Würzburger Grafen zurückzutreten. Auch wenn Magnus von Henneberg sich als verlängerter Arm des Würzburger Bischofs fühlte, so war der Mord in seiner Gegenwart geschehen, und dies gab ihm als höchstrangigem Anwesenden das Recht, die Untersuchung zu überwachen.
Der Markgraf erhob sich und winkte dem Fuchsheimer und Graf Magnus, ihm zu folgen. Trudi kämpfte sich ebenfalls auf die Beine und wankte, von einer Vorahnung getrieben, hinter dendreien her. Andere wollten sich anschließen, doch da hob der Brandenburger die Hand.
»Die Leute sollen sitzen bleiben und weiterfeiern. Sie stören nur.« Seine Autorität reichte aus, um die meisten Gäste auf ihren Plätzen verharren zu lassen. Die Vögte der umliegenden Städte und Herrschaften, die sich auf Fuchsheim eingefunden hatten, folgten jedoch der Gruppe.
Auch Marie hielt es nicht auf ihrem Platz, denn ihr war das erschrockene Gesicht ihrer Tochter aufgefallen. Nun wurde sie von der gleichen Angst erfasst, die auch Trudi gepackt hielt, und so eilte sie hinter dem Markgrafen her. Fast gleichzeitig mit Albrecht Achilles erreichte sie den Gemüsegarten, und der erste Blick offenbarte ihr das Unfassbare. Sie hatte Michels dunkelblauen Rock selbst genäht und Trudi das Kibitzsteiner Wappen darauf gestickt. Nun war der kostbare Stoff blutgetränkt, und der Kiebitz stand nicht mehr auf einem Felsen, sondern auf einem roten Fleck. Unter Michel hatte sich eine Blutlache ausgebreitet, und sein Gesichtsausdruck zeigte, dass der Tod ihn vollkommen überrascht hatte.
Während Marie stehen blieb und die Hände gegen die Brust schlug, warf Trudi sich auf den Toten. »Papa, nein!« Ihre Schreie gellten durch den Garten und brachen sich an den Mauern. Albrecht Achilles hob sie auf und schob sie Marie in die Arme. »Kümmert Euch um Eure Tochter. Der Schmerz ist zu groß für sie.«
Marie zog Trudi an sich und hielt sie fest, während sie mit tränenlosen Augen auf ihren toten Mann starrte. In wenigen Augenblicken zogen all die Stationen ihres Lebens an ihr vorbei, die sie gemeinsam durchmessen hatten. Sie waren beide in Konstanz aufgewachsen und hatten als Kinder miteinander gespielt. Später, als sie einem Fremden anverlobt und durch dessen Intrigen als Hure verurteilt und aus der Stadt getrieben worden war, hatte nur Michel an ihre Unschuld geglaubt und sogar seine Heimatstadtverlassen, um sie zu suchen. Aber er war in
Weitere Kostenlose Bücher