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Die Tochter der Wanderhure

Titel: Die Tochter der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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die Irre geleitet worden und hatte sie erst fünf Jahre später wiedergefunden. Diese Jahre waren so hart für sie gewesen, dass sie nach all der Zeit noch davon träumte und sich beim Aufwachen daran erinnern musste, dass sich ihr Schicksal längst zum Guten gewendet hatte. Mit Michels Hilfe war es ihr gelungen, ihre Unschuld zu beweisen und ihre Verderber vor Gericht zu bringen. Dort hatten die Richter sie kurzerhand miteinander verheiratet und Michel zum Kastellan einer der Burgen ernannt, die dem Pfälzer Kurfürsten gehörten.
    Marie erinnerte sich an die Jahre des Glücks, die sie dort mit Michel erlebt hatte und die jäh zu Ende gegangen waren, als er in den Krieg gegen die aufständischen Böhmen hatte ziehen müssen. Sie war mit Trudi schwanger gegangen, als die Nachricht sie ereilte, ihr Mann wäre gefallen. Das hatte sie nicht glauben wollen und sich auf die Suche nach ihm gemacht. Ihre Bitten an die Himmelsmutter und die heilige Maria Magdalena, zu der sie auch jetzt noch am liebsten betete, waren erhört worden, und sie hatte Michel wiedergefunden. Erneut waren sie von Glücksgaben überreich bedacht worden, denn Kaiser Sigismund hatte Michel wegen seiner Tapferkeit zum freien Reichsritter ernannt und ihm das Lehen Kibitzstein übergeben.
    Doch ihr war es nicht vergönnt gewesen, in Ruhe und Frieden zu leben, denn die Schatten der Vergangenheit hatten sie eingeholt. Eine rachsüchtige Feindin hatte sich ihrer bemächtigt und auf ein Sklavenschiff schmuggeln lassen, und dessen Besitzer hatte sie in das ferne Land der Russen verkauft. Da man an der Stelle, an der sie verschwunden war, eine Leiche gefunden hatte, war sie für tot erklärt worden, und Kaiser Sigismund hatte Michel gezwungen, eine junge Dame aus edler Familie zu heiraten. Nur der Wille, ihren Sohn wiederzusehen, den ihr die Feindin weggenommen hatte, hatte ihr die Kraft gegeben, den weiten Weg zurück in die Heimat zu finden. Michel, der nun mit zwei Frauenverheiratet gewesen war, hatte die andere, die Junge, fortgeschickt und sie wieder zu sich genommen.
    Bei der letzten Erinnerung spürte Marie, wie ihr die Tränen aus den Augen traten und wie warme Bäche über die Wangen liefen. Michel war wunderbar, als Ehemann, als Kamerad, als Freund und als Liebhaber – ein Mann, wie es ihn kein zweites Mal auf Erden geben konnte. Und nun lag er tot vor ihr, ermordet mit einem Dolch, der noch in seinem Fleisch stak.
    Albrecht Achilles von Hohenzollern und Graf Magnus wandten sich gerade der Waffe zu. »Das war ein gemeiner, ein hinterhältiger Stoß!«, rief der Ansbacher empört aus.
    Dem Henneberger war es, als müsse sich jeden Augenblick der Boden unter seinen Füßen auftun und ihn verschlingen. Diesen Dolch kannte er. Er selbst hatte Otto die Waffe anlässlich seines Ritterschlags geschenkt. Für den täglichen Gebrauch hatte sein Bruder eine weniger prunkvolle Waffe benützt, doch die war ihm bei dem Überfall auf die Kibitzsteiner abhandengekommen. Deswegen hatte sein Bruder für dieses Fest den Juwelendolch an seinen Gürtel gehängt. Diesen jetzt als Tatwaffe zu sehen, erschreckte Magnus von Henneberg so, dass er ihn am liebsten an sich genommen und versteckt hätte.
    Dafür war es jedoch zu spät, denn Marie wies gerade auf die Waffe. »Ist das nicht der Dolch des jungen Hennebergers? Mit dem hat er vorhin schon meinen Mann bedroht!«
    »Irrt Ihr Euch da nicht? Dolche dieser Art tragen etliche der Herren, die hier versammelt sind.« Graf Magnus versuchte noch, seinen Bruder zu schützen, begriff aber dann die Sinnlosigkeit seines Tuns. Traf man Otto mit leerer Scheide an, würde sein Bruder sofort als Mörder gelten – und dazu noch als einer, der seinen Gegner von hinten erstochen hatte. Er selbst war Zeuge des Streits zwischen Adler und seinem Bruder geworden. Daher glaubte auch er an Ottos Schuld und hoffte verzweifelt, dass der junge Narr Vernunft genug besessen hatte, sich einen anderenDolch zu besorgen. Sonst würde Otto nur noch eine rasche Flucht retten können.
    Einen Mann in einer offen erklärten Fehde oder im ritterlichen Zweikampf zu töten, galt als ehrenhaft. Diese Tat aber konnte nur als Meuchelmord bezeichnet werden, und darauf stand der Tod. Selbst Gottfried Schenk zu Limpurg durfte es trotz seiner Stellung als Fürstbischof nicht wagen, den Mörder von dieser Tat freizusprechen.
    Markgraf Albrecht Achilles sah, wie Henneberg sich innerlich wand, und genoss es trotz der bedrückenden Situation, den Mann in der Klemme zu

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