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Die Tochter der Wanderhure

Titel: Die Tochter der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Verantwortung übernehmen zu können, und es war auch nicht gut, wenn er seine Ausbildung abbrach, doch die Burg benötigte einen Herrn.
    Nach der Familie des Toten traten nun die Kibitzsteiner an dasGrab. Anni ließ einen Strauß Herbstblumen auf den Sarg fallen, Alika eine prachtvolle reife Traube sowie mehrere Feldfrüchte, damit Herr Michel, wie sie sagte, auf dem Weg zum Himmelreich nicht hungern müsse. Sie hatte zwar inzwischen den Glauben ihrer neuen Heimat angenommen und empfing auch das heilige Abendmahl, doch sie hing immer noch an einigen, befremdlich anmutenden Bräuchen.
    Marie und ihre Töchter blieben auf dem Gottesacker des Dorfes, bis das Grab mit Erde gefüllt war und sich ein kleiner Hügel darüber wölbte. Karel brachte ein hölzernes Kreuz und reichte es Marie. Diese küsste es und stieß es dann in die Erde. Es saß ein bisschen schief, und Karel beschloss, es später gerade zu stellen.
    Er blickte Marie fragend an und wies auf die Burg. »Habt Ihr Befehle für mich, Herrin?«
    Marie schüttelte müde den Kopf. »Im Augenblick nicht. Für das Leichenmahl hat Anni bereits alles vorbereiten lassen.« Sie kniete ungeachtet der aufgewühlten Erde vor dem Grab nieder, faltete die Hände und flehte den Heiland an, sich ihres Mannes anzunehmen und ihn ins Himmelreich zu geleiten. Dann bat sie Maria Magdalena, sich Michels zu erbarmen und ihm von ihrer Liebe zu erzählen, damit auch seine Liebe zu ihr die Ewigkeit überdauern würde. Sie beendete ihr Gebet mit der Hoffnung, der Himmel möge den Mörder ihres Mannes entlarven und bestrafen.
    Als sie aufstand, war ihr Kleid voll Lehm. Anni bemerkte es und winkte Uta heran. »Lauf nach oben und richte ein frisches Kleid für die Herrin her! Sie muss sich umziehen.«
    Die Magd nickte eifrig und eilte davon. Zuerst war sie beleidigt gewesen, weil man sie nicht mit nach Fuchsheim genommen hatte. Nun aber war jeder Unmut vergessen, und sie nahm sich vor, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um die Herrin und deren Töchter zu unterstützen. Sie sollten rundherum mit ihr zufrieden sein. Das galt besonders für Trudi. Ihre junge Herrin brauchtenun jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte und der sie tröstete. Außerdem interessierte es Uta brennend, ob Trudi auf Fuchsheim ihren Schwarm Georg von Gressingen getroffen hatte. In der Phantasie der Magd war Gressingen nun der Held, der den Mord an Herrn Michel rächen und dann als strahlender Sieger um Trudi anhalten würde.
    Trudi interessierte sich nicht für Uta oder sonst jemanden, sondern gab sich ganz der Trauer um ihren Vater und dem brennenden Wunsch nach Rache hin. Hie und da zog noch ein anderer Schmerz durch ihren Körper. Es war die Enttäuschung, dass Gressingen nicht nach Fuchsheim gekommen war und um ihre Hand angehalten hatte. Nun hätte seine Liebe ihr Trost spenden und sein Schwertarm ihrer Mutter dienen können. Zwar wäre er kein vollwertiger Ersatz für ihren Vater gewesen, doch seine Anwesenheit hätte so manchen Ärger mit Nachbarn, der nun auf ihre Mutter zukommen würde, verhindern können. Trudi fragte sich, wo ihr Geliebter sein mochte. Ob er überhaupt noch an sie dachte? Vielleicht würde er kommen, wenn er von ihrem schmerzhaften Verlust erfuhr, und sie trösten. Dann aber wurde ihr bewusst, dass auch er ihr nicht über ihren Kummer würde hinweghelfen können.
    Dieses Leichenmahl war kein Fest, bei dem die Lebenden die Nähe des Todes vergessen wollten, sondern eine bedrückende Fortsetzung der Beerdigungszeremonie. Marie hatte keinen Nachbarn eingeladen, denn sie wollte niemanden sehen. Selbst die Anwesenheit des Gesindes war ihr zu viel, und erst recht die der Bauern und Handwerker aus den Kibitzsteiner Dörfern. Daher bat sie Anni, sich um die Gäste zu kümmern.
    »Ich muss allein sein!«, setzte sie mit einem schmerzerfüllten Lächeln hinzu.
    Anni beteuerte eifrig, dass sie alles in Maries Sinn erledigen würde, und eilte davon, um die Pflichten einer Gastgeberin zu übernehmen. Hiltrud und Alika wechselten einen raschen Blick undfolgten Marie. Wie erwartet, fanden sie die Burgherrin in der Schlafkammer. Marie hatte sich in der schmutzigen Kleidung aufs Bett geworfen und schluchzte haltlos vor sich hin.
    Hiltrud trat zu ihr und rüttelte sie. »Wir achten deine Trauer! Aber gerade jetzt darfst du keine Schwäche zeigen, sondern musst fest und unerschütterlich sein.«
    Marie sah mit trüben Augen zu ihr auf. »Michel war mein Ein und Alles! Warum musste das Schicksal

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