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Die Tochter der Wanderhure

Titel: Die Tochter der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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aufbrechen wollten. Daher befand sich keine Fremde in dem Gemach.
    Bona trat auf Marie zu und fasste ihre Hände. »Es tut mir so leid um Herrn Michel. Er war ganz anders als andere Männer, so freundlich und so gütig.«
    Marie zog sie an sich. »Hab Mut, mein Kind. Für dich wird sich schon alles zum Guten wenden.«
    … aber für mich nicht mehr, setzte sie insgeheim hinzu und spürte, wie ihr erneut die Tränen kamen.
    »Wir müssen bald aufbrechen. Dein Vater hat uns dankenswerterweise einen Karren zur Verfügung gestellt, mit dem wir Michel in die Heimat bringen können«, sagte sie und schob Bona Trudi in die Arme. Diese klammerte sich nun schluchzend an ihre Freundin und schien sie nicht mehr loslassen zu wollen.
    Bona versuchte, sie zu trösten. »Du Arme, du hast deinen Vater so sehr geliebt. Es war ungerecht von Gott, ihn auf diese Weise von uns zu reißen.«
    »Es gibt keinen Gott und keine Gerechtigkeit mehr, denn der Mörder meines Vaters darf frei herumlaufen und über uns lachen!« Obwohl Trudi die Tränen wie Bäche über die Wangen rannen, lag in ihrer Stimme ein ungewohnt harter Klang. Niemals würde sie diesen Tag vergessen, und sie hatte sich geschworen, notfalls ihr Leben zu geben, wenn sie damit den Mord an ihrem Vater rächen konnte. Sie blickte zu ihrer Mutter hinüber und sah, dass deren Gesicht vor Trauer versteinert war.
    In früheren Zeiten wäre Frau Marie wohl selbst aufgebrochen, um den Mörder zu suchen, doch nun zehrte das Alter ebenso an ihr wie all die Verpflichtungen, denen sie sich jetzt alleine stellen musste. Trudi war bewusst, wie schwer es für ihre Mutter werden würde, den Vater als Herrn auf Kibitzstein zu ersetzen, doch es gab niemanden, der ihr diese Last abnehmen konnte. Falko war noch zu jung, und Karel, den Michel zum Kastellan auf Kibitzstein und damit zu seiner rechten Hand gemacht hatte, war ebenso wie Michi, der älteste Sohn der Ziegenbäuerin, unedler Abkunft. Die Nachbarn, allen voran der Raubbischof von Würzburg – wie Trudi Gottfried Schenk zu Limpurg bezeichnete –, würden sich weigern, mit den beiden Männern von Gleich zu Gleich zu verhandeln.
    Trudis Geist kehrte erst wieder in die Gegenwart zurück, als Bona sie auf die Wangen küsste. »Dein Vater war wunderbar! Hätte jemand wie er um mich geworben, ich wäre ihm freudig gefolgt.«
    Trudi betrachtete ihre Freundin und sagte sich, dass Bona ebenfalls eine schwere Last zu tragen hatte, und das in doppeltem Sinn, denn in ihr wuchs bereits ein Kind heran, dessen Vater ein anderer Mann war als der eigene. Nun erinnerte sie sich an das gemeinsame Täuschungsspiel. »Ist alles gutgegangen?«
    Bona nickte. »Meine Tante war heute Morgen immer noch zu betrunken, um nachzusehen, doch diese unsägliche Elgard von Rendisheim ist mit mehreren Frauen ins Zimmer gekommen, um das Laken zu begutachten. Du hättest ihr Gesicht sehen müssen, als sie den Nachweis meiner Jungfräulichkeit zu Gesicht bekam. Es war saurer als ein Gallapfel!«
    »Möge der Heiland dir beistehen!« Trudi küsste Bona und wandte sich dann ihrer Mutter zu. »Wir sollten aufbrechen und Vater ehrenhaft begraben.«

8.
    E s war ein trauriger Zug, der kurz vor der Abenddämmerung Kibitzstein erreichte. Gereon hatte einen seiner Männer mit der schrecklichen Nachricht vorausgeschickt, daher wussten die Bewohner bereits, was geschehen war. Die Frauen schlugen das Kreuz, als der Karren mit Michels Sarg an ihnen vorüberrollte, während die Männer ihre Hüte und Mützen in den Händen hielten. Dabei fragten sich alle, welch frevlerische Hand ihren Herrn getötet haben mochte.
    »Dies geschah gewiss im Auftrag der Äbtissin von Hilgertshausen«, mutmaßte Uta, die nicht nach Fuchsheim hatte mitkommen dürfen, und die Umstehenden nickten. Nach dem hinterhältigen Angriff auf Trudi und die Mägde, die dort Wein gelesen hatten, trauten sie Klara von Monheim alles Schlechte zu.
    Die drei Freundinnen, von denen jede Marie ein Stück ihres Lebenswegs begleitet hatte, empfingen den Trauerzug in seltener Eintracht. Hiltrud ließ ihren Stock fallen, den Michel ihr im letzten Jahr geschnitzt hatte, nahm Marie in die Arme und drückte sie an ihren Busen. Die Geste war der Witwe mehr wert als tausend Worte. Sie wusste, dass ihre älteste Freundin sie verstand, hatte Hiltrud ihren eigenen Ehemann doch erst vorwenigen Jahren verloren. Der Ziegenbauer war jedoch nach einem langen, arbeitsamen Leben friedlich im Kreis seiner Familie entschlafen.
    Dennoch war

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