Die Tochter der Wanderhure
gefunden und bestraft werden würde, bevor es zu einem neuen Unglück kam.
»Weiß man schon, wer es getan hat?«, fragte sie schaudernd.
»Es war Eichenloh!«, behauptete Trudi, und Marie nickte zögernd.
»Der Kerl hat einen heiligen Eid geleistet, nicht der Mörder zu sein, doch es war ein falscher Schwur!«, setzte Trudi mit klirrender Stimme hinzu.
Marie hob in einer verzweifelten Geste die Arme. »Das ist auch mein Eindruck. Doch Eichenloh hat vor dem offenen Sarg auf das Kreuz geschworen – und es ist nichts geschehen, was ihn der Lüge überführt hätte. Also sind uns die Hände gebunden. Dazu kommt, dass wir keine Fehde mit einem Söldner beginnen können, der einmal hier und einmal dort weilt. Doch so es einen Herrgott im Himmel gibt, wird der Mann seiner Strafe nicht entgehen!«
Nun war Alika klar, warum sie die Zukunft mit einem Mal so düster sah. Mutter und Tochter waren von dem gleichen Hass be seelt, nur wallte dieses Gefühl in Trudi heiß und sengend empor, während Marie sich, durch die Erfahrungen eines langenLebens gestählt, besser beherrschen konnte. Doch gerade deswegen wirkte sie umso unerbittlicher.
»Möge dieser Soldknecht bald auf einen Feind treffen, der ihn zur Hölle schickt und damit auch eure Rache vollendet!«, rief die Ziegenbäuerin und drückte damit das aus, was Alika ebenfalls hoffte. Erst, wenn dieser Eichenloh im Kampf fiel, würden Marie und ihre Töchter wieder Frieden finden.
9.
M ichel wurde in einer schlichten Zeremonie zu Grabe getragen. Der Pfarrer von Habichten, der auch die Seelen der Burgbewohner hütete, hielt die Messe und sprach ergreifende Worte, dann senkten Karel, Gereon und zwei weitere Männer den Sarg in die Erde. Marie wollte später ein steinernes Grabmal darüber errichten lassen. Sie selbst hätte ihren Mann am liebsten in einer richtigen Gruft begraben, doch auf Kibitzstein gab es nichts dergleichen, und bisher hatten Michel und sie keine Veranlassung gesehen, eine erbauen zu lassen. Nun war es zu spät. Marie tröstete sich damit, dass es Michel wohl so am liebsten gewesen wäre. Obwohl der Kaiser ihn zum Reichsritter ernannt hatte, war er im Herzen ein ehrlicher, schlichter Mensch geblieben, den viele Sitten der hohen Herren abgestoßen hatten.
»Staub warst du, und zu Staub wirst du werden«, sagte der Pfarrer gerade.
Marie trat nach vorne und warf eine Handvoll Erde auf den einfachen Sarg aus Fichtenholz, den der Schreiner auf Fuchsheim für Michel gezimmert hatte. Dabei dachte sie an den Ring, den sie auf Michels Brust gelegt hatte. Er hatte ihn ihr kurz nach ihrer Heirat geschenkt, und nun würde der feine Goldreif ihn in die Ewigkeit begleiten und daran erinnern, dass ihre Liebe auch die Auferstehung überdauern würde.
Ihre Töchter hatten dem Toten ebenfalls je ein Angebinde mit in den Sarg gegeben. Während Trudi sich das letzte Schmuckstück, das er ihr geschenkt hatte, laut schluchzend von ihrem Gewand gerissen hatte, war Lisa stumm hinzugetreten und hatte ein von ihr gesticktes Schmuckwappen der Kibitzsteiner Herrschaften hineingelegt. Hildegard hatte ihm ihre Lieblingspuppe in seine Armbeuge gedrückt und damit allen gezeigt, dass sie ihre Kindheit als beendet ansah und ihre Stiefmutter von nun an getreulich unterstützen wollte.
Nun trat das Mädchen an die Grube und warf eine Handvoll Erde hinein. Während sich noch alle Augen auf Hildegard richteten, berührte Trudi Marie am Ellbogen, sah sie beinahe furchtsam an und sagte nur: »Mama!«
Marie zog ihre Älteste an sich und ließ zu, dass sie ihr verloren wirkendes Gesicht im mütterlichen Gewand vergrub, als fürchte sie sich, noch einmal in die Grube hinabzuschauen, in der der Sarg ihres Vaters stand.
Doch dann ging ein Ruck durch Trudi. Sie richtete sich auf, nahm mehrere Klumpen Erde und warf sie mit starrem Blick auf den Sarg. Während Lisa das Gleiche tat, wanderten Maries Gedanken zu Falko, der auf Hettenheim weilte und noch nichts von dem Unglück wusste, das über sie hereingebrochen war.
In dieser Stunde hätte Marie gerne ihren Sohn bei sich gesehen. Doch bis zu seiner Ankunft wären mehrere Wochen ins Land gegangen, und aus diesem Grund hatte sie ihn noch nicht heimgerufen. Gleich am nächsten Tag würde sie ihm einen zuverlässigen Boten schicken, der ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters brachte, und ihn nach Hause holen lassen. Sie benötigte ihn hier, denn er musste ihr jetzt Halt und Stütze sein. Zwar war er noch ein wenig zu jung, um wirklich
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